Die elektrische Himmelsleiter

Anekdoten aus der Wissenschaftsgeschichte: Im Thomasius-Club zelebriert Elmar Schenkel die Fröhliche Wissenschaft

Die Ananas ist die Königin der Früchte. Die Struktur der Welt ist schwarz und weiß. Der Goldene Schnitt findet auch bei Wurstwaren Anwendung. – Von solcherlei nicht gerade gewöhnlichen Ansichten berichtete der Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel im Thomasius-Club.

Nach dem Philosophen und Juristen Christian Thomasius benannt, wird in den vom cultiv e.V. (www.cultiv.net) ausgerichteten Veranstaltungen monatlich über Bücher und Wissenschaft geplaudert. Damit greift die Veranstaltung lose auf die Tradition frühneuzeitlicher Gelehrtengesellschaften zurück. Unter der Moderation von Ulrich Johannes Schneider und Claudia Albert stellen Gäste ihre Werke vor; in Form ungezwungener Kommunikation, denn statt vortragsartigen Lesungen setzt der Club auf das Gespräch. Geladen war Elmar Schenkel, Professor für englische Literaturwissenschaft am Anglistikinstitut der Leipziger Universität. Gewissermaßen ein Tausendsassa, arbeitet Schenkel nicht nur wissenschaftlich, sondern ist auch literarisch und essayistisch unterwegs, wie sein vorgestelltes Buch zeigt.

Die elektrische Himmelsleiter lässt in 23 Miniaturen Visionäre und Exzentriker in den Wissenschaften lebendig werden. Neben Täuschungen und gescheiterten Projekten hört man von kreativen und zuweilen skurrilen Elementen des als nüchtern und grau geltenden Metiers, von Antrieben und Anstößen aus dem Alltäglichen, die Ideen gebend waren für wissenschaftliche Durchbrüche. So ist zum Beispiel die Rede vom Physiker Frederik de Selby, der mehr als ein Viertel des Erdumfangs rückwärts laufend zurücklegte oder von Offyreus alias Johann Ernst Elias Bessler, welcher das Perpetuum Mobile erfand. Der wissenschaftliche Vielschreiber und wundersam Geheilte Gustav Theodor Fechner, der Engel in der Idealform der Kugel entwarf, wurde vorgestellt und ebenso Arthur Conan Doyle, der mit der logischen Schärfe seines fiktiven Detektivs Sherlock Holmes eine Photographie vermeintlicher Elfen für authentisch erklärte.

Die Anekdoten um wissenschaftlich ambitionierte Irrtümer und skurrile Neigungen amüsieren sicherlich, doch gießt Schenkel im Buch weder Spott noch Häme über Spleens und Holzwege aus. Er lässt seine Protagonisten Personen sein und führt vor Augen, dass es geradezu unumgänglich ist exzentrisch, also der Meinungsmitte entrückt zu sein, um Neues und Unerhörtes zu entdecken. Bei Schenkel findet sich jene Unart nicht, Biographien als Schrumpfformen zu stilisieren. Derartige Biographien werden gemeinhin an ihrer Bedeutung zur Wissenschaftsgeschichte festgemacht und zu Fixpunkten überholter Meinungen oder Durchgangstadien. Schenkel verzichtet auf die Einordnung in linear angelegte Programme und erzählt stattdessen von Menschen, die (an-)getrieben sind von Fragestellungen, wie verschroben diese in zeitgenössischen wie späteren Meinungsmengelagen auch gewertet wurden und werden.

Solchem Respekt vor den historischen Menschen war auch das Gespräch im Thomasius-Club über weite Strecken verpflichtet und hier lagen die interessantesten Momente. Denn es galt nicht, die durchaus drolligen Eigenarten der Exzentriker für eine Handvoll Lacher auszuschlachten. Solche gab es natürlich auch – unfreiwillige inklusive. Warum besonders viele englische Exzentriker im Buch vorgestellt würden, wurde beispielsweise gefragt. Schenkel erwiderte augenzwinkernd, dass laut einer Studie pro 10.000 Einwohner in Großbritannien eben 25,3 Exzentriker kommen, in Deutschland lediglich die Hälfte. Solch eingestreute Flunkereien und Apercus ließen schmunzeln, konnten jedoch nicht verhindern, dass das Gespräch bisweilen ausfranste und ins Leere lief. „Sie müssen nicht alles glauben, was ich sage“, war eine Antwort des zwischendurch verschnupften Schenkels, wenn Claudia Albert Text und Autor vermengend eine ihrer schiefen Fragen zu lancieren versuchte. Als ob sie einer vorbestimmten Dramaturgie folgte, nahm sie dem Gespräch durch halsbrecherische Überleitungen Schwung und Fluss. Das war schade und ein solcher Flirt mit witzelndem Infotainment ebenso unnötig wie die fortwährenden Versuche Leipzigbezüge herzustellen.

Summa summarum: In der vornehmlich kurzweiligen Gesprächsstunde stand das Podium samt Publikum im Lichte einer Zusammenkunft für Eingeweihte, bei der man im Wohnzimmerinterieur des Horns Erben unter sich war. Es war einiges zu erfahren über gelehrtes Dasein – vergangenes wie heutiges -, darüber, dass Wissenschaft und Erkenntnis nicht kühn und unfehlend geradlinige Wege beschreiten, und obendrein, dass eine in Schenkels Buch vorgestellte Person ein „Grubenhund“, ein Fake ist. Diesen zu demaskieren soll jener geneigten Leserschaft vorbehalten bleiben, welche diesen Thomasius-Club verpasste, einen amüsanten Abend voller Sach- und Lachgeschichten, dem eine Portion mehr Esprit nicht geschadet hätte. Vielleicht gelingt’s beim nächsten Mal.

Elmar Schenkel zu Gast im Thomasius-Club

Ein Gespräch über das Buch „Die elektrische Himmelsleiter. Exzentriker in den Wissenschaften“ (C. H. Beck Verlag – München 2005, 175 S. – 9,90 €)

Horns Erben – 17. Januar 2007

www.thomasius-club.de

Mehr zum Thomasius-Club:

18.10.2007: Analysierendes Unbehagen im Thomasius-Club: Ulrich Bröckling über „Das unternehmerische Selbst“
20.09.2007: Gelehrtes Gespräch über den Namensgeber: Heiner Lück zu Gast im Thomasius-Club
12.07.2007: Philosophisches Selbstversichern: Pirmin Stekeler-Weithofer im Thomasius-Club
21.01.2007: Fröhliche Wissenschaft: Elmar Schenkel zu Gast im Thomasius-Club

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.