Wunderbarer Flickenteppich: „Paris, je t\’aime” (Florian Fromm)

Paris, je t’aime
Regie: Ethan & Joel Coen, Wes Craven, Christopher Doyle, Tom Tykwer, Gus van Sant, Gerard Depardieu u.a.
Buch: Tristan Carné u.a.
Mit: Steve Buscemi, Julie Bataille, Juliette Binoche, Willem Dafoe, Fanny Ardant, Ludivine Sagnier, Elijah Wood, Natalie Portman u.a.
Deutschland, Frankreich, Schweiz & Lichtenstein 2006
Länge: 120 min.
Verleih: Senator
Kinostart: 25. Januar 2007
www.parisjetaime-film.de
Vom Aufräumen mit alten Klischees: Paris, je t’aime

Eiffelturm, Louvre, Arc de Triomphe? und Liebe, Liebe, Liebe, nichts als Liebe. Das ist Paris. Lachende französische Männer mit gezwirbelten Schnauzbärten und unter die Arme geklemmten Baguettebroten; junge, sinnliche Frauen, die in den zahlreichen Straßencafés flanieren, eine Gruppe von Tauben, entfliehend gen Himmel, aufgeschreckt vom einsetzenden Klang eines Akkordeons, unter Ihnen einer der zahlreichen, gepflegten Plätze der französischen Hauptstadt? zu viel Harmonie? Zu viele Klischees? Das dachte sich auch Claudie Ossard.

Man grübelt vergeblich, will man eine andere europäische Großstadt finden, die so viele Stereotypen auf sich vereint wie Paris. Das macht sie so attraktiv für die einen, aber genau das lässt sie auch so langweilig erscheinen für die anderen. Filmproduzentin Ossard (Die fabelhafte Welt der Amelie) wollte an diesem Umstand etwas ändern. Eine Gruppe namenhafter Regisseure und Schauspieler aus aller Welt sollte einen etwas anderen Blick auf das Herz Frankreichs werfen. Ob nun Gus van Sant (Good Will Hunting) oder die Coen-Brüder (The Big Lebowski, Fargo) hinter der Kamera oder Elijah Wood und Natalie Portman davor, sie alle kamen an Bord eines ehrgeizigen Projektes.

Ein jeder sollte eine kurze Episode beisteuern zum Gesamtwerk, einzige Vorgabe war der Filmtitel: Paris je t’aime. Paris sollte also nicht neu erfunden werden, sondern lediglich der überstrapazierte Begriff der „Stadt der Liebe“ mit neuem Inhalt gefüllt werden, und dabei ließ man allen beteiligten Filmemachern freie Hand. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Ergebnisse.

Die Inszenierungen reichen vom kleinen Sozialdrama (Walter Salles & Daniela Thomas) bis hin zum ästhetisch inszenierten Vampir-Fantasyfilm von Vincenzo Natali (Cube). An den unterschiedlichsten Schauplätzen der Stadt wurde gedreht, in allen Teilen der Stadt spielen sich die kurzen Episoden über die Liebe und das Leben in Frankreichs Metropole ab.

Der erste Höhepunkt wird erreicht als die Coen-Brüder den Kult gewordenen Steve Buscemi (Con Air, Die Insel) als amerikanischen Touristen auf den Bahnsteig einer Pariser U-Bahnstation schicken. Nun sitzt er da auf einer Bank und liest in seinem Reiseführer. Leider etwas zu spät entdeckt er den Abschnitt über die Aufnahme von Blickkontakt mit den Einheimischen, die darauf, laut Reisebuch, eher feindselig reagieren. Doch da hatte er das knutschende Pärchen am Bahnsteig gegenüber bereits zu lange angestarrt…

Einmal mehr gelingt es den Coen-Brüdern mit einer herrlich grotesken Szene ihren Humor unter Beweis zu stellen. Im Schnelldurchlauf durchlebt Buscemi das „typische“ Paris seines Reiseführers. Die pure Ironie.
Danach geht die rasante Reise weiter. Christopher Doyles surrealer Trip eines Handelsvertreters durch ein asiatisch geprägtes Pariser Stadtviertel, anmutend wie ein langer Kinowerbespot; der dramatisch inszenierte philosophische Blick auf eine scheiternde Ehe, in der ein Mann erst durch das Krebsleiden seiner Frau wieder seine Liebe für sie entdeckt, wunderbar umgesetzt von Pedro Almodóvars Zögling Isabel Coixet. Bereits 2003 gelang es ihr mit dem Überraschungserfolg Mein Leben ohne mich ein Millionenpublikum traurig, nachdenklich aber dennoch seltsam beschwingt aus den Kinosälen Europas zu entlassen. Es folgen etliche kleine Filmjuwelen.
Der Blick auf Paris, gefiltert durch die Brille internationaler Regisseure wird ergänzt durch drei französische Filmemacher. Mit Christoph Schmitz (Türkisch für Anfänger) und Tom Tykwer (Lola rennt) sind auch zwei deutsche Beiträge entstanden, auch sie können überzeugen.

Ein Episodenfilm im Stile von Amores Perros oder Short Cuts ist am Ende nicht herausgekommen. Die Filme funktionieren jeder für sich, die Verknüpfung des großen Ganzen, auf welche die Produzentin immer wieder hinweißt, sucht man vergeblich. Oder man sucht sie eben gerade nicht.

Erst mit der 81. Fassung der dramaturgischen Anordnung der kleinen Filme war man vollends zufrieden, glaubt man Produzentin Ossard. Man fragt sich verwundert warum.

Die Thematik Paris und die Liebe reicht völlig aus, um all die kleinen Meisterwerke inhaltlich im weitesten Sinne miteinander zu verbinden, man freut sich auf jeden neuen Beitrag und sinkt zufrieden ein Stückchen tiefer in den Kinosessel. Großartige Verknüpfungen und Verschachtelungen braucht es nicht. Über die wenigen schwachen Momente des Films, wenn zum Beispiel Gurinder Chadha (Kick it like Beckham) die pathetische Geschichte eines jungen Franzosen erzählt, der sich in eine unglaublich hübsche junge Muslimin verliebt und schon bald zu deren Familie gehört, sieht man getrost hinweg.

Es ist ein filmischer Flickenteppich über Paris, 18 Regisseure aus aller Welt, die ihre ganz eigenen Großstadtgeschichten entstehen lassen und damit dem überkommenen Bild der französischen Hauptstadt die Zunge entgegenstrecken, ein großartiges Projekt. Ein wunderbarer Film.(Florian Fromm)

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