Ballett jenseits von Sterben und Schwänen: „Restrisiko” (René Seyfarth)

Restrisiko
Tanz-Improvisationsreihe
naTo
28. Januar 2007
www.tanzzenit.de


Restrisiko

Da hat man sich jahrelang vor Spiegelwänden geplagt, die Knie aufgescheuert, Sehnen überdehnt, Schrammen ohne Jammern hingenommen und sich nicht zuletzt immer wieder dafür verteidigen müssen, dass man tut, was man tut… Aber dann hat man es geschafft: Ein Diplom, ein richtiger Abschluss. Nicht von irgendeiner Schule, sondern der Palucca-Schule. Für Tanz. Und nun ist man Diplom-Bühnentänzerin und auf jede offene Stelle kommen 160 Konkurrentinnen. Na prima, Ballerina! Ist spätestens jetzt der Moment gekommen auf Yoga-Trainerin oder Intendantenmaus umzuschulen? Aber wenn man doch tanzen will?

Undine Förster, Sophia Rändler und Johanna Gebauer – allesamt Absolventinnen ebendieser Knorpelschmiede – haben sich zusammengetan und geben sich selbst Aufgaben. Mit ihrem Verein Tanzzenit e.V. schaffen sie sich im doppelten Sinn eine eigene Bühne, auf der es nicht nur darum gehen soll, sich selbst hier und da mit eigenen Projekten zu zeigen, sondern auch Tanz als Kunstform eine Stimme zu geben und aus dem Schattendasein neben Schauspiel und Musiktheater herauszuholen. Mit Abenden wie Restrisiko könnte dies durchaus gelingen. Wie im Improvisationstheater kommen hier die Impulse aus dem Publikum, welches durch Zuruf signalisiert, was getanzt werden soll. Kann man Schäfchenwolken über dem Thüringer Becken tanzen, ohne Hüftschwünge (Becken) auf allen vieren (Schaf) zu vollziehen und damit über das Niveau eines Scharadespiels hinauszukommen? Man kann, offenbar.

Ob Picknick in der Personalagentur oder Streit um Tantchens Garten, die drei jungen Künstlerinnen beeindruckten durch eine gelungene Mischung aus technischem Können, komischen Talent und spielerischer Freude. Ob man aus tieferem Interesse am Tanz oder zur Unterhaltung gekommen ist, dürfte keine Rolle gespielt haben. Das Publikum dürfte so oder so auf seine Kosten gekommen sein. Ganz nach ihrem Konzept haben diese jungen Frauen eindrücklich gezeigt, dass zeitgenössischer Tanz eben mehr ist als „Herumhüpfen“, sondern vielmehr eine facettenreiche und durchaus detaillierte eigene Sprache. Der Moderator Rashid D. Sidgi als Mittler zwischen „seinen Körpern“ und dem Publikum ließ nicht nur die Puppen tanzen, sondern schaffte es, originell und charmant durch den Abend zu führen und das Eis – so es welches gab in diesen Tauwettertagen – schnell zu brechen.

Für April und Juni sind weitere Vorstellungen aus dieser Reihe angekündigt. Wem bei Ballett bisher nur sterbende Schwäne einfallen oder wer an einen Zeitvertreib für kleine Prinzessinnen und Schwule denkt, sollte sich hier vom Gegenteil überzeugen. Und jene, die sich von keinem Gegenteil überzeugen lassen müssen, dürften mindestens verblüfft sein, wie publikumsnah Tanz sein kann.

(René Seyfarth)

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