Die Konjunktur des Philip Glass

Das vierte Rundfunkkonzert im Leipziger Gewandhaus mit viel Gesang

Im September 2005 wurde Philip Glass´ 21. Oper Waiting for the Barbarians in Erfurt uraufgeführt. Keine zwei Jahre später stemmt der MDR die 1999 für die Salzburger Festspiele entstandene Millenniumssinfonie des Altmeisters aus Amerika. Anlass des Kompositionsauftrages geldmächtiger Persönlichkeiten zwischen Salzburg, Tokio und New York war, zum Ende des Jahrtausends ein Werk zu schaffen, dass der Sehnsucht nach Frieden, dem uraltem Menschheitstraum musikalischen Ausdruck verleiht. Doch der Superlative nicht genug: Choral Symphony bedeutet im englischen nicht einfach Chorsinfonie, sondern bezieht sich explizit auf Beethovens Neunte. Schillers Anrufung der Freude, die Beschwörung des lichten Optimismus ist also der Ausgangspunkt der Komposition. Das klingt nicht minimalistisch, ist es im inhaltlichen Sinne auch nicht. Die Texte schöpfen aus 24 Quellen, Zeitaltern und Kulturen. Sozusagen Glass´ Vorstellung von Weltkultur, wenn er aus verschiedenen Weisheitserzählungen der Welt eine Essenz erfindet.

Die zwölf zwischen sechs bis acht Minuten langen Sätze werden ohne Pause aufgeführt, fast zwei Stunden ist man ununterbrochen den Wiederholungen, Verschiebungen und Schleifen ausgesetzt und das kann ganz schön anstrengend sein, vor allem weil viele Strukturen beginnen, um alsbald im nichts zu verschwinden. Das Spektrum reicht von monotonem Sprechgesang vor flimmernden Streichern bis zu groovigen blechlastigen Aktionen, die an den Humor eines Kurt Weill denken lassen. Die Vielfalt der Motive verhindern die für die Minimalmusik charakteristische atmosphärische Spannung, weil die Summe der banalen harmonischen Strukturen nicht mehr als ihre einzelnen Teile ergeben.

Dennis Russell Davies arbeitet präzise wie ein Uhrwerk und kann es doch nicht verhindern, dass sich beispielsweise im zehnten Teil When heaven is split open die Aktionen zu einem undurchsichtigen Brei vermischen. Die Solisten haben es gegen die Chormassen oft nicht leicht. Friedemann Röhligs kräftiger Bass leuchtet da sehr wohltuend aus der Masse. Etwas deplaziert das aufwendige Vibrato Kimberly Jones´. Die Freude und der Jubel des ausverkauften Hauses trösten dann wieder, der anwesende Meister versteht es professionell die Begeisterung der Massen zu steigern. Erst nach über zehn Minuten beruhigt sich das auffallend junge Publikum.

4. Rundfunkkonzert

Philip Glass
Symphony No. 5 (Choral), Requiem, Bardo and Nirmanakaya

MDR SINFONIEORCHESTER
MDR RUNDFUNKCHOR
MDR KINDERCHOR
Leitung: Dennis Russell Davies
Sopran: Kimberly Jones
Mezzosopran: Dagmar Peckova
Tenor: John McVeigh
Bassbariton: Christian Miedl
Bass: Friedemann Röhlig

16. Januar 2007, Gewandhaus, Großer Saal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.