Hannah Herzsprung ist Mörderin und begabte Pianistin: „Vier Minuten” (Claudia Euen)

Vier Minuten
Buch & Regie: Chris Kraus
Mit: Monica Bleibtreu, Hannah Herzsprung,
Richy Müller, Jasmin Tabatabai, Nadja Uhl u.a.
Verleih: Pfiffl Medien
Deutschland 2006 – 112 min.
Kinostart: 1. Februar 2007
www.vierminuten.de
Schuhmann mit blutigen Händen

Mitreißend und einfühlsam: Hannah Herzsprung ist Mörderin und begabte Pianistin zugleich.

Bevor der Film beginnt, verweist eine Moderatorin auf das Publikumsgespräch im Anschluss der Vorstellung. Hannah Herzsprung, die Hautdarstellerin des Films, sei zu Gast. Viele Zuschauer mögen überrascht gewesen sein an diesem kalten Samstagabend, dem 3. Februar 2007. Manche vielleicht sogar verärgert, denn in den Veranstaltungskalendern war von Regisseur Chris Kraus die Rede. Als dann aber Hannah Herzsprung nach dem Film den Kinosaal Astoria betritt, sind die meisten sicher ein bisschen froh über diesen Druckfehler, froh zu sehen, wer diese Frau eigentlich ist.

Im Film heißt Hannah Jenny und ist eine gewalttätige, um sich schlagende Straftäterin. Eine Mörderin. So sieht es das Gesetz. Mit Anfang 20 sitzt sie im Frauenknast. Ihr Leben scheint zu Ende, bevor es angefangen hat. Jennys ist in ihrer Erscheinung grob und ungepflegt, mit ständig aufgekratzten Händen. Mit den anderen inhaftierten Frauen hat sie wenig zu tun. Sie ist Einzelgängerin, trotzig, musikalisch begabt.

Dass es im Gefängnis Klavierunterricht gibt, erscheint wie ein Wink des Schicksals. Die hauseigene Lehrerin Traude Krüger, überzeugend gespielt von der großartigen Monica Bleibtreu, steht der jungen Jenny von Anfang an skeptisch gegenüber. „Warum wollen Sie mit diesen Händen Klavier spielen?“, fragt sie in der ersten Stunde. „Ich habe keine anderen“, ist alles was diese darauf erwidert. Die Beziehung der beiden beginnt schwierig. Sympathie geht gegenseitiger Nutzen voraus. Jenny will spielen. Traude Krüger ihr eigenes Talent weitergeben, und das mit allen Mitteln. Jennys Willen versucht sie zu brechen. „Demut ist die Regel Nummer eins, das werden Sie lernen müssen“. Dem Mädchen fällt das schwer, doch das Vertrauen gibt ihr Halt. Langsam entwickelt sich gegenseitige Zuneigung. Jenny gewöhnt sich immer mehr an diese alte, eigenwillige Dame, die am Ende ein Fünkchen Hoffnung in ihr erweckt, dass sie es schaffen kann, durch die Musik wieder ein Fünkchen Lebensmut zurück zu gewinnen.

Und auch wenn die zwei Frauen auf den ersten Blick unterschiedlich wie Tag und Nacht erscheinen, so flüchten sich beide durch die Musik in ihre eigene Welt, in der die Regeln der Realität außer Kraft gesetzt sind. So lässt sich beider Vergangenheit, die grausamer kaum hätte sein können, besser ertragen. Die Tragik und Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist, scheint so groß und unüberwindlich, dass dem Zuschauer nichts anderes übrig bleibt, sich auf ihre Seite zu schlagen. Dass Jenny den Gefängnisaufseher brutal zusammen schlägt, ist dabei schnell vergessen. Sicher hätte auch eine der Geschichten ausgereicht den Zuschauer in den emotionalen Bann des Films zu ziehen, doch Chris Kraus will mehr und so bringt er deutsche Kriegsgeschichte und die Zustände in heutigen Gefängnissen in Zusammenhang. Als Sturmbandführer bezeichnet Klavierlehrerin Krüger den Gefängnisdirektor, der letztlich über Jennys Leben entscheidet. Provokant und doch nachvollziehbar.Vier Minuten ist ein Film, der unter die Haut geht. Nicht umsonst haben beide Hauptdarstellerinnen den Bayrischen Filmpreis für ihre Rollen erhalten. Nicht umsonst wurde der Film auf zahlreichen internationalen Filmfestivals hoch und runter gespielt, nicht umsonst steht Hannah Herzsprung im ausverkauften Passage Kino vor der geschlossenen Leinwand und erzählt kurze Geschichten aus ihrem Leben. Zum Beispiel, wie sie sich beim Casting gegen 1200 Mitbewerberinnen durchsetzte ohne wirklich Klavierspielen zu können – für eine Hauptrolle als begabte Pianistin.

Mädchenhaft, ja schüchtern wirkt die 25-Jährige als sie den Saal betritt. Keine Spur mehr von der groben Jenny, vielmehr zart ist ihre Erscheinung. Ihre Entschlossenheit und ihr Ehrgeiz kommen erst zu Tage, als sie mehr von sich erzählt. Auf die Frage, wie sie eine solche Rolle so glaubhaft umsetzen konnte, antwortet sie, dass sie immer aus dem Bauch heraus spiele. Auch die schlechte Körperhaltung, der misstrauische Blick, dass kommt einfach so, eben weil sie alles gibt, wenn sie spielt.

Doch auch die anderen hochkarätigen Schauspieler, wie Jasmin Tabatabai, Richy Müller und Nadja Uhl machen den Film zu dem was er ist: mitreißend und einfühlsam. Am Ende bleiben Jenny vier Minuten um der Welt zu zeigen was sie kann. Das Publikum hält den Atem an. Und danach? Danach kommt das, was Hannah Herzsprung so schätzt an dem Film. Das Ende ist eigentlich kein Ende und der Zuschauer kann die Geschichte selbst weiterdenken, so dass das Fünkchen Lebensmut vielleicht doch noch eine Chance hat.(Claudia Euen)

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