An airplane, a bird? No! – Superman: „Die Hollywoodverschwörung” (Michael Grass)

Die Hollywood-Verschwörung (Hollywoodland)
Regie: Allen Coulter
Buch: Paul Bernbaum
Mit: Adrien Brody, Diane Lane, Ben Afflek
USA 2006
Länge: 126 min.
Verleih: Buena Vista
Kinostart: 15. Februar 2007
Wenn Helden sterben

Nein, George Reeves ist nicht der Vater, oder der Großvater, oder der Onkel von Christopher Reeve. Zwei Supermänner der gleichen Sparte in einer Familie wäre auch ein bisschen zu viel. In den Vereinigten Staaten war George Reeves der Held der ersten Stunde. Nicht wie Adolf Hennecke, eher wie Lothar Hartmann. Lothar Hartmann war der erste Programmdirektor des (Ersten) Deutschen Fernsehens, umgangssprachlich ARD, und zwar von 1952 bis 1973. Am 25. Dezember 1952 nahm Lothar Hartmann mit dem Deutschen Fernsehen das Sendeprogramm auf. Lothar Hartmann war sozusagen ein Fernsehheld der ersten Stunde. Wäre er auf tragische Weise ums Leben gekommen, beispielsweise durch einen Pistolenschuss in den Kopf, würde es sich bestimmt lohnen, seinem Leben einen Denkmal zu setzen und ihn mittels eines Kinofilms als Held der ersten Stunde des Fernsehens, als Hebamme der bürgerlichen Unterhaltung zu ehren.

Hollywood erzählt uns eine wahre Geschichte: George Reeves war der erste Superman. Zumindest der erste von Bedeutung. Kirk Alyn, der zuvor für kürzere Episodenfilme in die „Clark-Kent-Superman“-Rolle schlüpfte, war schnell vergessen. Der erste elektronisch medial verbreitete Superman war eine Radiogestalt, später Zeichentrickfigur. In den ersten Stunden des Fernsehens gab Reeves der amerikanischen Bevölkerung, die sich regelmäßig zur „Kellogs“-gesponserten Flugstunde in blau-rot vor den Fernsehgeräten versammelte, den amerikanischen Traum zurück: Superman! Symbol der amerikanischen Freiheit, Bollwerk gegen Kommunismus, Diebstahl und andere Verbrechen an der Menschheit! Superman ist Propaganda. Er beschützt das schwache Weltimperium USA vor den radioaktiven Wellen der bolschewistischen Weltrevolution und ist lieb zu Kindern. Er raucht nicht, ist immun gegen Inflation und Börsencrash. Die Gewehrkugeln aus Nazimaschinenpistolen prallen einfach an ihm ab. Der Superman der 1950er Jahre ist das personifizierte Traumbild Amerikas von sich selbst. George Reeves ist – an airplane, a bird? No! – Superman.

Superman zu sein, schien für Reeves mehr Nachteile als Vorteile gehabt zu haben. Schon nach wenigen Folgen wurde er auf die Rolle des zu groß geratenen Pfadfinders in langen Unterhosen festgenagelt. Der Fernsehheld schaffte nicht rechtzeitig den Absprung auf die Kinoleinwand. Held der ersten Stunde, blieb er Held des billigen Massenmediums. Reeves steckt resigniert den Kopf in den Sand, verkommt zur Marionette der Einschaltquoten. Superman rauchte und trank nicht, George Reeves hingegen wird schnell ein Sammelsurium gesellschaftlicher Laster. Als nach 104 Folgen The Adventures of Superman die Kamera abgestellt wird, ist auch bei Reeves der Ofen aus: Während die bereits gedrehten Folgen in Dauerschleife über die Bildschirme flattern und der Produktionsfirma Millionenbeträge einbringen, versiegt die spärliche Geldquelle für den Mann aus Stahl, neue erwähnenswerte Rollen fallen für ihn nicht an. Zudem ist Reeves – ironischer oder beabsichtigter Weise verkörpert durch Ben Affleck – ein miserabler Schauspieler. Der Niedergang als Leinwandgröße und ein verkümmertes Ego scheinen der Grund für seinen Selbstmord im Jahre 1959. Es ist nicht das erste Mal, dass ein egozentrischer Schauspieler seinem Leben auf diese Weise ein Ende setzt und soll auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Schnell verbreitet sich die Kunde, dass das Symbol für Wahrheit, Gerechtigkeit, Amerika sich selbst gerichtet hat. Schock und lähmende Trauer befallen Generationen von träumenden Stubenhockern. Gerüchte werden laut: Der Selbstmord sei eine Finte, eine Lüge der Produktionsgesellschaft. Oder hatte eine eifersüchtige Geliebte die Finger im Spiel?

Wie dem auch sei: Es war schon immer eine der bedeutensten Fähigkeiten der Traumfabrik, aus dem kleinsten Gerücht einen Aufhänger für ein Zweistundenepos zu machen. Dem kleinsten noch so unscheinbaren Hinweis wird nachgegangen. Er wird gedreht und gewendet, fallen gelassen und wiedergefunden, noch einmal unter die Lupe genommen, bis auch endlich klar ist: Das war´s nicht. Aber war da nicht noch was anderes? Schnell werden da geahnte Mafiaverstrickungen des Senderchefs zum unabdingbaren Faktum gewunden. Die Geliebte wird Expertin in Waffenfragen. Alles sehr ominös, das kann doch nicht, da muss doch was…! Aber uns ist längst bewusst, dass sich aus Nichts die besten Verschwörungen basteln lassen. Tatsächlich weisen mehrere Zeitungsartikel darauf hin, dass die zahlungskräftigere Mutter des abgefallenen Nationalsymbols sich mit der Selbstmordgeschichte nicht zufrieden geben wollte. Sie hatte in der Tat einen Privatdetektiv angeheuert, der die ganze Sache noch mal gründlich untersuchen sollte. Die Ergebnisse führten zu einer weiteren Obduktion, welche die Selbstmordvariante lediglich erhärten konnte. Nichts desto trotz, die Medien nahmen dankbar den Faden auf, konstruierten Zweifel und Gerüchte und Amerika tappte in die Falle. Ergebnis ist ein Film, der peinlichst genau versucht, glaubwürdige Ereignisse zu umschiffen und lieber den Mythos des betrogenen Nationalhelden belebt.
Dennoch gibt es filmische Lichtblicke – zwei, um ganz genau zu sein. Lichtblick Nummer eins: Diane Lane als Geliebte Reeves‘, Ehefrau des Studio- und Produktionschefs Edgar Mannix (Bob Hoskins) und gelangweiltes Opfer der Hollywood-Lifestyle-Besessenheit. Als Toni Mannix vermag sie durch ihr Schauspiel dem Film mehr Stil zu verleihen als sämtliche Fünfziger-Jahre-Requisiten zusammen. Der zweite Lichtblick: Adrien Brody, der als verpeilter Privatdetektiv Louis Simo – ganz und gar nicht Philip Marlowe mäßig – über die Leinwand stolpert. Vielleicht war es Simo, der durch seine Pressekontakte die Verschwörungstheorie aus PR-Gründen ins Leben rief.The Adventures of Superman startete zu Thanksgiving 1951, also etwa Ende November. Praktisch ein Jahr später ging Lothar Hartmann mit dem Deutschen Fernsehen auf Sendung. Sowohl Reeves als auch Hartmann sind Fernsehpioniere. Doch würde sich in den USA auch nur Einer über die Bedeutung Hartmanns für die Entwicklung der deutschen Fernsehlandschaft interessieren? In einem Kinofilm? Eben. Uns bleibt die Bedeutung von George Reeves als Nationalsymbol Amerikas gleichermaßen verborgen. Wir waren nicht Teil der vor Entsetzen stillstehenden Nation. Insofern wird uns auch die Vielschichtigkeit der portraitierten Ereignisse und Personen wenig bedeutsam erscheinen. Die Aussage des Films lässt sich für europäisches Publikum, auf sein Wesentliches reduziert, folgendermaßen vorwegnehmen: In Hollywood war, ist und wird nichts, wie es scheint.(Michael Grass)

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