Genialer Wurf

Kent Nagano beginnt seine Amtszeit an der Bayerischen Staatsoper mit „Das Gehege“, dem ersten Akt für Richard Strauss´ „Salome“

Mit einem genialem Wurf beginnt Kent Nagano seine Amtszeit an der Bayerischen Staatsoper. Vor Strauss´ Jugendstreich Salome stellt er Wolfgang Rihms Melodram Das Gehege, eine Auftragskomposition der Bayerischen Staatsoper, die am 27. Oktober 2006 uraufgeführt wurde.

Anita von Scharstorf dringt am 9. November 1989 in den Berliner Zoo ein, bricht einen Adlerkäfig auf und versucht, den darin hausenden König der Lüfte zu verführen. Botho Strauss beschäftigt sich in seinem Stück Schlusschor mit deutscher Geschichte im Angesicht der politischen Wende im Herbst 1989. Sein Plot ist symbolisch höchst aufgeladen: Das deutsche Wappentier sitzt müde und träge im Gehege und draußen, auf der Straße bricht ein längst vergessen geglaubter Nationalstolz wieder auf: „Wir sind das Volk“. Anita von Scharstorf, Tochter eines von den Nazis hingerichteten Offiziers, ist eine frustrierte Endvierzigerin. Die Liebe hat sie nicht gefunden, umso eiserner verteidigt sie die Legende vom widerständigen Vater, der in Wirklichkeit wegen seiner Frauengeschichten ums Leben kam. Ihr sodomitisches Verlangen im Zoo wird nicht erwidert, da helfen auch die kräftigen Flüche nichts: „Kastrierte Chimäre! Wo ist dein Doppelbild? Schlappes Wappentier! Erstarrte Ankunft!“. Schließlich muss der Adler sterben. Soweit Botho Strauss.

Auch bei Richard Strauss muss am Ende das Subjekt der Begierde sterben: Salome verlangt von ihrem Stiefvater Herodes den Kopf des Jochanaan. Symbolisch aufgeladen auch diese Handlung: Salome ist die Tochter der lasterhaften Herodias, die in ehebrecherischer Beziehung mit ihrem Schwager Herodes lebt, dieser begehrt seine Stieftochter und wird dafür grausam bestraft, indem er gezwungen wird, Jochanaan enthaupten zu lassen. Soweit Richard Strauss nach einer Dichtung von Oscar Wilde.

„Denn jeder tötet, was er liebt“ (Oscar Wilde): mit genialem Gespür haben es Wolfgang Rihm, Kent Nagano und William Friedkin geschafft dieses immanente Thema Salomes in einem neuem Zusammenhang Strauss´ Einakter voranzustellen. Wolfgang Rihm bleibt sich treu, seine Partitur ist ein Bekenntnis für das Fragmentarische, musikalische Prozesse werden zerrissen, überlagert, immer wieder ein- und ausgeblendet. Durch sein dekonstruktives Herangehen entsteht eine wunderbare Verbindung zum Plot: Die Wiedervereinigungseuphorie – ein Marsch – wird zerfleddert, die erotische Übersteigerung dessen, die absurden Sehnsüchte Anitas werden einmal mit bitterem Ernst entblößt, dann aber immer wieder ironisch demontiert. Sowenig wie Wolfgang Rihm den Text Botho Strauss´ verändert hat, sowenig entfernt sich seine narrative Musik vom Text. Das Orchester faucht, der Vereinigungsmarsch klopft trocken und tonal. Aber es geht auch weicher: in romantischen Bögen umschmeichelt Anita den uralten Greif: „Du sollst Dich sehnen!….Sieh: ich biete dir den Ast meines nackten Armes…giuä, giuä.“. Renate Behle, Frau Anita von Scharstorf, beherrscht die komplexen Figuren meisterhaft, Kent Nagano führt mit der Präzision einer Stoppuhr und schafft es, die kleinste Verästelung der Partitur transparent zu gestalten. Bei soviel Konzentration leidet leider die Erotik etwas, durch die anschließende Salome wird dieses Defizit aber hinreichend kompensiert.

„Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“ – mit einem hinreisendem Gesang eröffnet Nikolai Schukoff als Narraboth den zweiten Teil des Abends. Auf der Bühne haben sich die kühlen an Beton erinnernden riesigen Rahmen, im ersten Teil ein abstrahiertes Gehege, zu einem perspektivisch verzerrtem Raum gruppiert. Hans Schavernoch schafft mit den äußerst reduzierten Elementen ein durchweg spannendes Bühnengeschehen. Verschiebungen, Hebungen und Senkungen der Elemente generieren stets neue Dimensionen und Blickwinkel.
Angela Denoke als Salome: mit von Anfang an herrlich lasziver Gestik erzeugt sie ein spannendes Kribbeln auf den blutigen Ausgang der Oper hin. Salome zeitlos, der Rock doppelt aufgeschnittenen, der Ausschnitt flattert lose vor sich hin, die anderen Figuren in eher traditionellen Gewändern. Die Musik drückt dunkel, strahlt sirenenhaft oder stützt behutsam die prophetischen Worte des Jochanaan. Die erstklassischen Sänger erhalten Raum, Kent Nagano reißt die Partitur auf, analytisch und intellektuell verzichtet er auf jeden Klangrausch, so entsteht eine Klammer zur Musik Wolfgang Rihms, die Vielfalt der Farben und musikalischen Ideen steht im Vordergrund nicht expressive Schwelgerei.

Zur Inszenierung: Auch William Friedkin ist es gelungen Das Gehege und Salome zu einem Ganzen zu verschweißen. Das verbindende Element ist das Deutsche Wappentier: Nachdem der Adler, Todd Ford in einer zauberhaften Rolle, im ersten Teil verhöhnt, gerupft und schließlich getötet wurde, taucht er plötzlich bei Salomes Tanz wieder auf. Als Dämon reizt und steigert er Salomes Wahn, Jochanaan töten zu lassen. Der Tanz Salomes erhält dadurch eine neue Dimension: die misshandelten Liebessubjekte schlagen zurück. Anderseits singt und spielt Angela Denoke in einer derart atemberaubenden Intensität, ihr Gurren und Schmeicheln ist so authentisch, dass einem der arme Herodes buchstäblich leid tut. Wehrlos steht er den weiblichen Waffen gegenüber. Sogar Kent Nagano ist Angela Denokes Reizen erlegen und leistet sich hier etwas Expressivität, die Musik wird so weicht und malerisch, dass man sich plötzlich beim Mitsummen ertappt.

Modernität und Tradition, erstklassische Interpreten und eine subtile Regieführung, mehr kann man von einem Opernabend nicht erwarten und München kann sich mit der Wahl Kent Naganos zum neuen Generalmusikdirektor wirklich gratulieren.

Das Gehege

Musik: Wolfgang Rihm
Libretto: Botho Strauß aus Schlusschor
Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: William Friedkin
Mit Renate Behle & Todd Ford Salome
Musik: Richard Strauss
Libretto: Oscar Wilde, Hedwig Lachmann
Mit: Wolfgang Schmidt, Angela Denoke, Alan Titus u.a.

3. Februar 2007, Bayerische Staatsoper


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