Filigranes, französisches Kino

„Keine Sorge, mir geht’s gut”

Es muss auch Filme geben, denen man einfach gerne zuschaut. In deren Verlauf man sich versenken kann, ohne groß aufgerüttelt zu werden durch zu spannende Verläufe, zu witzige Pointen. Französische Filme konnten immer auch dies sein, nämlich einfach ein Blick in eine Szene. Schlecht muss das nicht sein.

Zwar wird Keine Sorge, mir geht’s gut als Familiendrama, gar als Thriller angekündigt. Zeitweilig mag er auch das ein oder andere Genre-Kriterium erfüllen. Aber eigentlich ist es ein Film, der nirgendwo ziept oder zerrt, bei dem man sich dennoch gegen Ende wünscht, dass er sich noch ein wenig hinziehen möge.

Der Film mutet zunächst an wie ein klassisches Familiendrama, entpuppt sich aber mehr und mehr als eine psychologische Studie über die Verbundenheit von Zwillingen: Die 19-jährige Lili erfährt nach der Rückkehr aus den Sommerferien, dass ihr Zwillingsbruder Loic nach einen Streit mit den Eltern verschwunden ist. Die Geschwister hatten eine sehr innige Beziehung, und so ist Lili außer sich vor Sorge, fällt in Depressionen.

Bisweilen vergisst Keine Sorge, mir geht’s gut den Familiendrama-Anspruch, wird doch Lilis Tortour das zentrale Thema. Die mit dem Französischen Filmpreis und dem Romy-Schneider-Preis ausgezeichnete Mélanie Laurent spielt die tiefe Verwundung der allein gelassenen Schwester so eindringlich, dass es nicht eines einzigen Bildes des vermissten Loics bedarf, um die ehemals so innige Beziehung der beiden nachvollziehbar zu machen. Lili verweigert sich ihrem Leben, zermürbt innerhalb eines Jahres wie ein verdurstender Baum, der nur noch aus Gewohnheit am Leben bleibt. Nur die unregelmäßig eintreffenden Postkarten von Loic lassen Lili hoffen, dass es ihrem Bruder gut geht – und bewahren sie davor, sich vollkommen aufzugeben.

Die Eltern scheinen die Gründe für die unerklärliche Abwesenheit Loics zu verschweigen, hier entsteht so etwas wie ein Spannungsbogen: was verbirgt sich hinter der heilen Fassade der Familie, was verbergen die Eltern? Auch Kad Merat, der Lilis Vater darstellt, wurde mit dem französischen Filmpreis ausgezeichnet, und ganz besonders sein reduziertes und präzises Spiel lässt das Poröse der Familie erahnen, die Abgründe, die der Zuschauer spürt und doch nicht formulieren kann. Spannung ist trotzdem etwas anderes.

Vielleicht gerade weil Regisseur Philippe Lioret (Die Frau des Leuchtturmwärters) sich ein wenig zu sehr darin verstrickt, die Szenerie zu modellieren, schafft er es nicht immer, uns mitfiebern zu lassen. Die Kraft geht manchmal dafür verloren, die fantastische Musik zu den leichtfüßig hingeworfenen Bildern wirken zu lassen, die womöglich gerade deswegen so dahinplätschern, ohne wehzutun. Die sagenhaft schöne Mélanie Laurent tut ihren Anteil daran, dass man diesem Film einfach gerne zusieht, ohne groß Fragen zu stellen. Eine mäßig spannende Geschichte mischt sich mit schönen Dialogen, einer filigran entworfenen Szenerie – keine verkrampfte Moral stört, kein aufwühlendes Thema, das von der sich fließend entwickelnden Szene ablenkt. Das ist nicht das Schlechteste. Und das gab es lange nicht mehr in einem französischen Film. Sich hineinversenken in Bilder und Dialoge, Voyeur spielen auf eine Szene, das kann so gut tun. Wer keine schmerzhaften Bewusstseinsveränderungen vom Kinobesuch erwartet, sollte sich Keine Sorge, mir geht’s gut ansehen.

Keine Sorge, mir geht’s gut (Je vais bien, ne t’en fais pas)

Regie: Philippe Lioret
Buch: Philippe Lioret & Olivier Adam
Mit: Mélanie Laurent, Kad Merat, Isabelle Renauld, Julien Boisselier & Aissa Maiga
Frankreich 2006 – 100 min.
Verleih: Prokino

Kinostart: 22. März

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