Von Zwergen und Maschinen

Robert Löhr legt mit seinem Debüt einen historischen Roman vor: Der Schachautomat rekonstruiert ein Täuschungsmanöver des 18. Jahrhunderts

Wer mal wieder etwas Spannendes lesen will, sich für das Schachspielen, Wunder der Technik oder ganz allgemein für historische Romane interessiert, dem könnte Robert Löhrs Debüt gefallen: Der Schachautomat. Akribisch hat der früher als Journalist tätige Löhr ein Täuschungsmanöver recherchiert und dann literarisch umgesetzt, das tatsächlich statt gefunden hat: Der Edelmann Wolfgang von Kempelen hatte der Kaiserin von Österreich eine „denkende“ Maschine versprochen. Er erfand einen Automaten, der Schach spielen konnte. Einziges Manko: Es handelte sich bei dem Automaten, der jedes Spiel gewann, keineswegs um eine Maschine. Stattdessen war ein zwergwüchsiger Mann im Inneren verborgen, der genial Schach spielte.

Um diesen Zwerg – Tibor, im Gegensatz zu von Kempelen eine fiktive Figur – kreist der Roman: Seine Geschichte wird von der Anwerbung durch von Kempelen bis zum Bruch mit diesem beschrieben. Doch obwohl der Leser jede von Tibors Handlungen verfolgt, bleiben dessen Motive und damit auch die Figur selbst fremd – Tibor scheint in alles, was ihm geschieht, hinein zu schlittern, keinen Antrieb zu haben als den zu überleben. Dadurch wirkt er unlebendig und wird dem Leser höchstens in den letzten Kapiteln sympathisch – weil man schon etliche Seiten mit ihm verbracht hat. Die Spannung des Romans entfesselt sich demnach eher aus der sich überschlagenden Handlung als aus Mitgefühl mit Tibor. Das birgt die Gefahr, dass Tibor und damit das gesamte Buch einem leicht egal werden können. Auch die Motive von Kempelens bleiben seltsam unklar: Gerade seine Lügen und Täuschungen hätten die Möglichkeit geboten, einen menschlichen Charakter in der Tiefe zu beschreiben. Von Kempelens Motivation für den „brillantesten Betrug des 18. Jahrhunderts“ (siehe Untertitel) wird aber nur eindimensional damit erklärt, dass von Kempelen sich profilieren will. Das wirkt angesichts des Ausmaßes der Täuschung ein wenig dürftig.

Genauer als seine Hauptfiguren beschreibt Löhr das 18. Jahrhundert sowie den Automaten: Schnell bekommt man eine detaillierte Vorstellung davon, wie die „Maschine“ funktionierte und aussah. Vom 18. Jahrhundert im Allgemeinen entwirft Löhr ein fast anstößiges Bild: Hinter der vornehmen und ernsthaften Fassade treibt es der Adel bunt durcheinander. Kaum eine Figur, die keine Affäre hat, hatte oder zumindest gerne hätte – Tibor eingeschlossen. Dies lenkt zum Teil vom eigentlichen Plot ab, fast langweilt es.

Löhr zeigt in seinem Roman, dass er ein genauer Beobachter von Dingen ist: Er beschreibt detailliert die Technik und wie sie funktioniert, auch seine Vorstellung vom 18. Jahrhundert wird deutlich. Menschliche Charaktere jedoch so zu umreißen, dass man sie versteht und mag, gelingt in Der Schachautomat nicht. Trotzdem gibt es von diesem Roman nicht ohne Grund bereits eine zweite Auflage: Er ist spannend – außerdem hat sich Löhr mit dem Täuschungsmanöver einen sehr interessanten Plot ausgesucht.

Robert Löhr: Der Schachautomat. Roman um den brillantesten Betrug des 18. Jahrhunderts
Piper Verlag
München 2005
407 S. – 8,95 €
www.piper-verlag.de

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