Zensurkritik mit englischer Zunge: „Fahrenheit 451” (Moritz Ostertag)

Fahrenheit 451
American Drama Group Europe & TNT Theatre Britain
Schauspielhaus
Regie: Paul Stebbings
Mit: Glyn Connop, Deborah Leigh-Simmons, Géhane Strehler & Michael Wagg
Musik: Paul Flush
23. April 2007
www.adg-europe.com


Literatur auf dem Scheiterhaufen – Fahrenheit 451 im Schauspielhaus

Basierend auf der Romanvorlage von Ray Bradbury spielt das neue Stück der englischen Theatergruppe TNT Theatre Britain in einer nicht allzu fernen Zukunftsgesesllschaft, in der Bücher und anderes Druckwerk verboten sind und die abgestumpften Bürger den ganzen Tag mit infantilen Fernsehprogrammen bei Laune gehalten werden. Eine neuartige Rolle ist der Feuerwehr zugekommen, deren Aufgabe es nun ist, Häuser nach Büchern zu durchsuchen und sie umgehend zu verbrennen: 451 Grad Fahrenheit (cirka 230 Grad Celsius) – die Temperatur bei der Papier Feuer fängt.

Das Stück setzt auf minimalistische Bühnenkulissen, die fast ausschließlich aus hohlem, kastenförmigen Krankenhaus-Mobiliar besteht. Mehr ist auch kaum nötig um den Zuschauer in den Bann zu ziehen, denn die Energie, die das englischsprachige Ensemble aufbringt, um verschiedene Doppelrollen überzeugend umzusetzen, verdient volle Anerkennung. Bis zum Schluss ist nicht ganz klar, wie vielen Leuten man da gerade zugesehen hat; bis der Vorhang fällt und man die Truppe zum ersten Mal geschlossen zu Gesicht bekommt. Es sind vier Schauspieler für fast dreimal so viele Rollen.

Statt grellen Lichteffekten und einem gewöhnungsbedürftigen Techno-Soundtrack hätte die Verdeutlichung einer futuristische Gesellschaft vielleicht etwas eleganter ausfallen können und auch der immer wiederkehrende „Emotionaler-Moment“-Jingle?, der zur Abrundung der dramatischen Szenen eingespielt wird, um den Zuschauer ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er nun betroffen oder nachdenklich zu sein hat, geht schnell auf die Nerven; die restliche Geräuschkulisse ist jedoch meisterlich integriert und schafft sowohl mit Regenrauschen und Vogelgezwitscher für Szenen im Freien, als auch mit dem allgegenwärtigen Gesäusel der Fernsehprogramme einen vollwertiger Ersatz für die fehlenden Kulissen.

Als der Roman 1953 erschien, war die Zensur noch weitaus präsenter als heute: Die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten lagen erst 20 Jahre zurück, die Sowjetunion tolerierte ebenfalls keine regimekritische Zeile und selbst im demokratischen Amerika verhängte Joseph McCarthy Berufsverbote für Künstler und Schriftsteller, die sich durch „unamerikanische Aktivitäten“ verdächtig gemacht hatten. In der Bühnenfassung erschien dem Regisseur Paul Stebbings die Gelegenheit wohl zu verlockend, das immergültige Thema Zensur und Überwachung auf die heutige Zeit, insbesondere auf das moderne Amerika, zu projizieren; das Ergebnis ist Geschmackssache. Hartgesottene Anti-Amerikaner werden ihre Vorurteile bestätigt sehen, für den Zuschauer, der etwas mehr Distanz zum Thema mitbringt, wirken die abgegriffenen Phrasen eher wie nachträglich eingeschoben, um das Stück aktueller zu machen.

Unterm Strich bleibt die Bühnenadaption eine gelungene und kurzweilige Umsetzung der Romanvorlage mit hervorragenden Schauspielern, die sich mit ihrer ungewichtigen Sozialkritik und einem übermäßig belehrenden Soundtrack vielleicht eine Spur zu weit an seine jugendliche Zielgruppe heranschmeißt; und sich damit keinen Gefallen tut. Denn die Berieselung mit Vorurteilen sowie Musik, die den Zuschauer emotional in eine bestimmte Richtung lenken soll, ist schließlich auch eine Form der geistigen Bevormundung.

(Moritz Ostertag)

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