Abgefahren: Eugen d\’Alberts Kammeroper „Die Abreise” (Sebastian Schmideler)

Oper am Klavier: Die Abreise – Eugen d’Albert
Kellertheater der Oper Leipzig
Musikalische Leitung & Klavier: Hans-Georg Kluge
Gesang: Viktorija Kaminskaite, Martin Petzold & Jürgen Kurth
Premiere: 3. Mai 2007
www.oper-leipzig.de


Abgefahren: Eugen d’Alberts Kammeroper Die Abreise in der Reihe Oper am Klavier

Gilfen hat die Nase voll. Was ihn quält, heißt Überdruss. Schon zu lange ist er mit seiner Frau Luise verheiratet, beide pflegen die Lieblingslaune des 19. Jahrhunderts: Sie langweilen sich. Eigentlich will Gilfen nur noch fort, er will abreisen. Da tritt Trott auf den Plan. Trott ist ein alter Freund von Gilfen, der sich alle Mühe gibt, um Gilfen in seinen Reisevorbereitungen zu bestärken. Diese Umtriebigkeit hat natürlich einen Hintergrund. Trott will Gilfens Abreise beschleunigen, damit er freie Hand und freies Spiel bekommt, um mit Luise anbändeln und ihr das geben zu können, was sie offensichtlich braucht: ein wenig Abwechslung. Doch der lästige Freund hat als Ehemann Lunte gerochen und wacht aufmerksam wie Zerberus über den guten Ruf seiner Frau. Luise hingegen scheint ziemlich willig, die Gunst der Stunde für sich nutzen zu wollen. – Die entscheidende Frage ist: Wird es Trott gelingen, Gilfen loszuwerden und Luise zu erobern? Oder wird sein Plan scheitern und er den misstrauischen Argusaugen des partout nicht zu hörnenden Ehemannes erliegen?

Um diese gewichtige Frage dreht sich Eugen d’Alberts federleichte Kammeroper Die Abreise, ein Meisterstück der kleinen Form, in dem die bekannte Dreiecksbeziehung – Frau, Mann, Hausfreund – innerhalb von fünfzig Minuten in allen denkbaren Konstellationen auf amüsante Weise verwickelt und entwickelt wird. Als „musikalisches Lustspiel“ verbrämt, ist die Komödie von Ferdinand von Sporck nach einem Schauspiel von August von Steigentesch aus dem Jahre 1828 ein durchaus rührender Beitrag zu dem Dilemma der bürgerlichen Gesellschaft, wie man es mit der ehelichen Treue halten soll, wenn die Sinnlichkeit ihre Rechte einfordert.

Aufschlussreich ist diese Oper daher allemal: Der Hörer kommt überdies in den seltenen Genuss, das klassische (und eigentlich barocktypische) Versmaß der Alexandriner vertont zu hören und zwar mit den musikalischen Mitteln des Jahres 1898. Dieser seltsame Exotismus, der zwischen dekorativem Jugendstil und klassizistischer Form rangiert, macht den besonderen Reiz der Oper aus. Schwelgerische Leidenschaft mit viel Schwung und Schmalz, mit ebenso viel Pedal am Klavier von Hans Georg Kluge vorgetragen, lassen einerseits an den plüschigen Salon einer Villa des 19. Jahrhunderts mit Samtvorhängen und Stuckrosetten denken, schöne, klare Sinnlichkeit, einfache Melodien und zu Herzen gehende Arien lassen hinwiederum klassizistischen Landhausstil des späteren 18. Jahrhunderts erahnen. Alles das bietet Eugen d’Alberts abwechslungsreiche Partitur, die am Klavier sehr wirkungsvoll ihre vielseitigen Facetten entfalten kann.

In der szenischen Einrichtung von Gundula Nowack gelingt allerhand: Zunächst werden die Alexandriner des Höhepunkt-Terzetts von Luise, Trott und Gilfen in einwandfreier Skandierung als Sprechgesang rezitiert, dann wird als Konserve die Ouvertüre in voller Orchesterbesetzung eingespielt, während auf der Bühne recht geschickt, wenn auch etwas langatmig die Vorbereitungen für das Kammerspiel inszeniert werden, bevor Hans Georg Kluge am Klavier übernehmen kann. Die Bühne kommt mit ein paar Requisiten aus: drei Stühle, ein verschlissenes Sopha als trauriges Symbol des Ehestandselends, ein Spinett.

Dann beginnt das Spiel. Jürgen Kurth als Gilfen repräsentiert mit Kraft und Stärke einen Ehemann des 19. Jahrhunderts, Martin Petzold als Trott beweist, dass die Oper auch als Lustspiel angelegt ist, beide sorgen für solide stimmliche Grundlagen, damit Viktorija Kaminskaite als Luise um so mehr als Perle des 18. Jahrhunderts hervorleuchten kann. Sehr geschmackvoll und authentisch formt sie Luise mit ihrer geschmeidigen und schönen Stimme zu einem dieser reizenden Geschöpfe, die das Problem Trotts äußerst plausibel machen. Ihre Art, diese Luise zu singen und zu spielen, ist mit einem Wort: liebenswürdig. Ihre Soloarie am Spinett gehört zum schönsten, was im Kellertheater in letzter Zeit zu hören war.

Am Ende ist Trott der betrogene Betrüger, er ist es, der abreisen muss, denn Gilfen und Luise entdecken sich wieder neu, die ursprüngliche Konstellation hat sich schließlich umgekehrt. Die Stufen dazwischen sind gut abgewogen. Denn diese Entwicklung in dieser Kürze der Zeit auf diese recht unterhaltsame Weise geleistet zu haben, ist ein durchaus bleibender Verdienst von Eugen d’Alberts interessantem Werk. – Auch jenseits des einstigen Repertoirestückes Tiefland ist Eugen d’Albert deshalb einen Opernabend wert gewesen und sei es auch nur am Klavier.

(Sebastian Schmideler)

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