Humanistische Reflexionen: „Schiller unplugged” (Enrico Ille)

Schiller unplugged
Schauspiel Leipzig – Neue Szene
Regie: Thorsten Duit
Mit: Stefan Kaminsky, Stephanie Schönfeld, Jana Horst, Jörg Malchow & Günter Schoßböck
Musik: Ralf Siedhoff
3. Mai 2007
www.schauspiel-leipzig.de


Schiller light

Ein junger Schiller mit Campino-Frisur liegt auf seinem Hochbett, überlegt, schreibt, zerknüllt, während noch Jüngere die Reihen füllen. An den Pinnwänden seines Singlezimmers Zeichnungen, Briefe und Sprüche, ein Absperr-Band warnt „Vorsicht Freiheit“, des Jägers Begeisterung für Soldatenmacht im Krieg – „was nicht verboten ist, ist erlaubt“ – blickt von Wallensteins Lager herüber zum Schwur der Tell’schen Schweizer, die freudetrunken, in Brüderliebe versunken, eher den Tod, als die Knechtschaft in ihren Bund lassen wollen. Ein zweites Hochbett, ebenso aus Gerüststangen gefertigt, verdeckt die Sesselgarnitur mit der passenden Talk-Moderatorin, das Eintreten wird versüßt mit frischem Apfelduft, der nicht an den Ekel Goethes beim Besuchen des Faulapfel-verliebten Schiller denken lässt.

Gedankliche Schwere, von jugendlichem Idealismus getragen und von medialen Formen des heutigen Alltags gerahmt, soll vermittelt werden an ein Publikum, dessen Lebens- und Sprachwirklichkeit nur wenig mit den Oberflächen zu tun hat, die Schiller anbietet. Zwar trägt die Jungfrau von Orléans mittlerweile auch das Gesicht von Milla Jovovich, wenn diese nicht mit L’Oreal-Teint als fünftes Element mutierte Zivilisten tötet. Und oft genug wird seine Ode an Beethovens große Glocke gehängt, um Schiller und seine Locken nicht zu vergessen.

Doch ist die Nachahmung der Antike mit Chören um die Braut von Messina, die schon Schillers Zeitgenossen befremdeten, heute weniger befremdlich? Berühren die Klagen des Grafen Fiesco bei seiner Geliebten Gräfin Julia über den feinen, aber kategorischen Rangunterschied zum Dogen von Genua ein durch Dokutainment gebildetes Auditorium? Oder sind es gerade die kommerzialisierten Formen der Adelsschau, der seifigen Kabalen und Lieben der Reichen, die den gemeinsamen Kern durchscheinen lassen? – Gerade auf dieser Frage lässt sich das Stück nieder.

Schiller unplugged entstand anlässlich des Schillerjahres 2005, es wird nur noch ein weiteres Mal gespielt. Die Premiere vor zwei Jahren fand noch auf der Probebühne am Floßplatz 3 statt, Proben wurde bereits im März auf der Leipziger Buchmesse gezeigt. Die Programmvorschau verkündete, dass vor allem junge Menschen eingeladen seien; das Angebot zu Schülervorstellungen macht zusätzlich klar, dass hier Theaterpädagogik im Vordergrund steht: das Heranziehen von Theaterfreundlichkeit, die ästhetische Heranbildung der Überzeugung, dass die Welt die Bretter bedeutet. Die Mischung aus Vermittlungsformaten gehört zu den unermüdlichen Versuchen zu popularisieren, nahe zu bringen was aus der Ferne erscheint wie die schweren Schritte schleppenden Pathos, wie die aufsteigenden Rauchschwaden himmelnden Idealismus. Hat nicht auch die damalige Jugend aufgeschrieen vor Begeisterung über die moralische Anstalt des räuberischen Kampfes der Gebrüder Moor?

Also, warum und zu welchem Zweck geht man ins und macht man Theater? Gibt es eine Alternative zu Horst Köhlers seltsam widersprüchlichen Forderung, gleichermaßen Jugend und Migranten über Erkenntnis von Gemeinsamkeiten mit der scheinbaren klassischen Fremde zu versöhnen, aber doch bitte nicht am Urtext zu rütteln? Was das von Köhler verteufelte Zerstückeln der großen Dramen angeht, so ist die Theatergruppe der Neuen Szene zweifellos schuldig in seinem Sinne (doch ist nicht die Reduzierung von Künstlern auf ihre großen Dramen gleichermaßen eine Zerstückelung?). Gestaltungsarten werden aneinandergereiht, Komik wechselt mit Schwermut, Clownerie mit Strenge.

Zu Beginn schichten sich in schneller Abfolge Problemebenen ineinander. Schiller klagt mit einer Bittschrift über den Klang der Wäscherei, der fürstliche Gedanken versaut, ein Reporter gibt ein Ständchen zum Besten und eine Verlegerin vermarktet die Würde der Frauen mit entblößten Brüsten, es wallet der liebende Busen und erfreut das industrie-normierte Lächeln der Talk-Show-Moderation. Auch Maria und Elisabeth zerfetzen Würde und Kleidung, wenn Enthauptung gegen Behauptung steht, und Marias Darstellerin über antiker Körpersprache und Elisabeths Koketterie mit dem Regisseur aus gespielter Wut in wütendes Spiel hinüber gleitet. Doch so wie Geschichten, nicht Geschichte zählen, denn Schiller lieber seine Phantasien und Äpfel verderben lässt, als die Facta, so ist es das Mitseiende, Mitfühlende des Publikums auf das gezielt wird. Zaghafte Verfremdung, das Hineinsetzen in die Zuschauerreihen, ein Mädchen angesprochen als Laura, das Sonnenstäubchen, dessen Liebe Weltsysteme dauern lässt. Aber was nimmt er mit sich, der Betrachter, wenn er erlebt, wenn er fremde Schicksale kennen und sehen lernt, verlässt das Mitleiden ihn, wenn er den Raum verlässt, oder bleibt das Gelittene? Höchste Wirkung entfaltete das Ensemble im Überlagern von Dramenteilen, im Zusammenführen von Ferdinands und Luises Liebesschwüren mit den donnernden Drohungen des selbst gemachten Vaters, im Abgleiten des eingeengten Jugendlichen in den Tunnelblick des Gegenterrors, die blutend leeren Hände der Kindsmörderin. Aber gerade dieser Moment der Intensität, dessen plötzlicher Wechsel von minimalistischer Intensivierung zum langen Monolog schwer fassbar ist, verpufft mit einem Aufraffen des Dichters in den Volkstheaterhimmel der Bürgschaft. Die Wasserströme auf Damon gießen aus Eimern, ein Plastiklorbeerkranz bleibt dem Tyrannen, der im Bund der coolen Kumpel keinen Platz finden wird – hatte schon der Freund dem Freunde zum Bürgschaftsangebot gesagt: Toller Plan, Alter.

Hoffnung, Hoffnung wird gewünscht nach alldem, beim Punsch auf Bergeshöhen den heimischen Frauen zu winken, freudige Männerbünde und perlender Zauberschein – ist des Lebens wechselvolles Spiel damit zu bewältigen, wenn doch Liebe nur der kennt, der ohne Hoffnung liebt. Sind Schillers widersprüchliche Rätsel mit poetischen Ideen zu lösen, die, wie er schrieb, beim schöpferischen Geiste p?le-m?le hereinstürzen und Sinn geben, wenn man sie lässt? Das freie Spiel von Kreativität ist das Rezept, das der verwundeten Seele angeboten wird, und dieses paarte sich mit Musik. Schiller-Gedichte auf Klavierbegleitung, eine Stimme wie eine Mischung von Klaus Renft und Sven Regener, eine Gitarre gespielt wie von Santana selbst, viele der eingeworfenen Stücke brachten Schiller näher als alles Andere, trotz einiger unliebsamer Erinnerungen an Lutz Görner. Wenig überzeugte dagegen der Abschlussgesang mit zaghaft und nicht wirklich gekonnten Andeutungen an Rap und Reggae, eine nicht beherrschte Sprache, die in den a-cappella-Stil zwischen Comedian Harmonists und die Prinzen gesteckt wurde. Es fiel auf, dass am Ende Ideenreichtum und Inspiration sich ausgedünnt hatten.

So bleibt am Ende doch die Frage: Ist die rhythmisierte Herzenswärme genug, um die moralische Katharsis zu erreichen, die Schillers Hoffnung uns verspricht? Tun wir mehr als vor dem Abgang Hoffnung am Grabe zu pflanzen? Doch der Abend stimmte nicht unversöhnlich, im besten Fall regte er etwas an, ein paar Ideen über dieses unselige Mittelding zwischen Vieh und Engel, den Menschen.

(Enrico Ille)

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