Religiöse Musik aus Ägypten

Das Sheikh Arabi Farag Ensemble ist zum Gottesdienst in der evangelisch-reformierten Kirche

Der schlichte Raum der evangelisch-reformierten Kirche spiegelt die Einfachheit ihres Gottesdienstes wider, erinnert an die streng mäßigenden Formen, die Zwingli und Calvin ihrem Protestantismus gaben. Kein Kreuz, wenig Verzierungswerk – und keine Bilder, entsprechend des Bilderverbotes, das Reformierte der Bibel entnehmen. Ein Ort, der prädestiniert scheint für das Eindringen religiöser Praxis, für die er nicht gedacht war.

Vier Stühle in einem schwach gekrümmten Bogen, vor einem der Stühle ein Pult mit arabischen Aufzeichnungen, neben einem anderen drei Rahmentrommeln, die von Glühlampen beleuchtet werden, um die richtige Fellspannung zu erhalten. Die aufgeschlagene Bibel auf dem Abendmahltisch zeigt Jesajas Worte: „Mache dich auf, mache dich auf, Zion; zieh deine Stärke an, schmücke dich herrlich, du heilige Stadt Jerusalem!“ Vier Männer in langen Jallabiyya-Gewändern betreten die Bühne. Nach einigen einführenden Worten von Prof. Issam El-Mallah über stolze Teilhabe an einer langen Tradition beginnt Sheikh Khazri Abou El-Atta mit einer Formel zur Vertreibung teuflischer Präsenz und widmete das Folgende dem Namen Gottes. Schüchtern klingt die Stimme des blinden Rezitators zuerst, dann wiegt sie sich in gewohnten Melismen.

Als Invokation des ersten Teils erklingen Verse der Sure 59, die von der Vertreibung der jüdischen Banu Nadir berichtet und Juden und Christen offen legt, dass für sie als Leute des Buches der Weg zum wahren Glauben offen steht, doch der ihn Bekämpfende vertrieben werden wird. Doch nur die letzten Verse über die Ungleichheit von Paradies und Hölle und über die Herrlichkeit Allahs erklingen. Die Konzentration auf Verse der Verehrung bleibt: Ibtihalat, Gebete zu Allah und zum Propheten in Form von Vokalimprovisationen, wechseln mit religiösen Liedern, Anflehungen und Lobpreisungen in wechselnden Tonlinien und Verzierungen, gesungen in maqamat, Melodietypen bestimmter Tonskalen, und von den anderen Sängern mit kurzen, zustimmenden Worten begleitet. Ein stark ausgedehnter Gebetsruf beginnt den zweiten Teil, gefolgt von einer musikalischen Aufzählung der neunundneunzig Namen Allahs, das weit verbreitete Tala’a l-badru ‚alaina (Uns ist der Vollmond erschienen), mit dem einer Überlieferung nach die Bewohner von Medina den Propheten begrüßten, beendet das Programm. Auch hier lässt sich ein Musizierprinzip erkennen, das auffällig der rituellen Praxis und einem religiösen Ideal entspricht – geführt und vorgegeben von einem Vorsänger folgt eine Gruppe in Einstimmigkeit. Doch im gleichen Moment steht hinter dem Würdenträger ein Weiterer, der im Hintergrund durch Wiederholung des Intonationstones und kleine Zeichen reguliert. In diesem Zusammenspiel wird auch am ehesten deutlich, dass Issam El-Mallah und Sheikh Arabi Farag schon länger zusammenarbeiten. Letzterer etablierte sich in den letzten Jahren in verschiedenen Konzerten auch in Deutschland, im Mai 2003 in der Universität Augsburg, mit Issam El-Mallah zum Romanischen Sommer im Juni 2006 in Köln, im Januar 2007 in Berlin in der Komposition Lamentationes de fine vicesimi saeculi für Orchester, vier Gruppen und Sufi-Sänger von Klaus Huber, am 18. Mai diesen Jahres wird ein Auftritt in der Musikhochschule Münster folgen.

Es ist bei weitem nichts Neues, dass muslimischer Lobpreis konzertant veranstaltet und medial popularisiert wird, vor allem Sufi-Sänger wie Nusrat Fateh Ali Khan trugen mit Konzertreisen und Aufnahmen zur Bekanntheit musikalischen Ausdrucks von Muslimen bei. Doch es ist eher ein nicht-muslimisches Publikum, bei dem der Sufismus, die emotionelle Bindung an den Glauben und dessen expressiver Ausdruck, eine Etablierung nötig hat, da er für einen großen Teil der Muslime tägliche Praxis ist. Was ist es, das etabliert wird, was ist es, was das Publikum am Ende zum Klatschen bringt, was wurde ihm vermittelt? Ist es die Wahrnehmung, dass die blutigen Bilder, die geschwungenen Fäuste von grimmigen Männern und die lauten Rufe „Allahu akbar“ doch nicht die ganze Wahrheit sind, dass es jenseits des Kopftuchs Gedanken und Gefühle gibt, die man teilen kann? Und welchem Publikum präsentieren sich die Sheikhs, was bedeuten ihnen die Eingetretenen, die ihren Worten ohne Verständnis lauschen? Fühlen sie Überzeugung übergehen, wenn Füße zu den Rhythmen der Rahmentrommel wippen und sehen sie sich teilhaben an dem prädestinierten Weg, der die Guten der Leute des Buches am Ende zum wahren Glauben führen wird?

Prädestination ist ein wichtiger Gedanke, auch für Reformierte. Göttliche Vorsehung ist ein bereits Daseiendes vor dem sichtbaren Sein, ein Wille, für den jede Zukunft in der Gegenwart liegt, genauer, die Gegenwart selbst ist. Und dieser Gedanke liegt auch in dem Stolz, der ausgedrückt wird, wenn Qur’an-Rezitierende von der unveränderlichen Tradition sprechen, an der sie teilhaben. Diese Überzeugung erkennt da Unverbrüchlichkeit, wo auch Wandel und Varianz herrscht. Ebenso versuchte der habilitierte Musikethnologe Issam El-Mallah, seinem deutschen Publikum vom zu Erwartenden das Bild einer ewigen Tradition zu geben. Nichts in seinen Worten ließ die bunte Vielfalt musikalischen Ausdrucks des Islam erkennen, der heute auch Sänger wie Youssou n’Dour oder Yusuf Islam alias Cat Stevens und Rapper wie David Kelly oder Public Enemy angehören.

Vielleicht ist gerade das Hören des Ungehörten, der Geschmack des Unvergänglichen, die starre Würde des Unbezweifelten, was zum Klatschen brachte, aber die Forderung nach Zugabe ist zweifellos ein schönerer Klang als ignorante Islamfeindlichkeit. Und doch fragte Sheikh Arabi Farag sein zahlendes Publikum halb-ironisch nach Bakschisch und wählte ein Lied darüber, dass nichts ‚bi-ballash‘ – kostenlos und umsonst – ist auf dieser Welt. Nein, nichts Unverbrüchliches zeigte uns dieser Abend, sondern die ständige Anpassung kulturellen Schaffens an Umgebungen und Möglichkeiten. Gott sei Dank.

Sheikh Arabi Farag Ensemble, Ägypten

4. – 12. Mai 2007, Beim a-cappella – 8. Festival für Vokalmusik

10. Mai 2007, Evangelisch-Reformierte Kirche

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