Zwischen Qualität und Qual

Die sechste Pop-Up Messe findet wieder in Leipzig statt

Indie ist sexy. Je unbekannter der Name einer Band, desto prickelnder, sie zu entdecken. Doch von Sexappeal allein lässt sich nicht leben. Abgesehen davon, dass nicht alles, was in digitaler wie realer Welt aufpoppt, Freude bringt und Hüften schwingt. So enttäuschen etwa Ragazzi, die mit „artifiziellem Pop“ vergebens um die Herzen der Festivalbesucher buhlen. Ein Schal macht noch keinen Boheme. Ebenfalls im Anzug treten Kissogram am Pop-Up-Freitag im UT Connewitz auf – dem steingewordenen Sinnbild des brüchigen Schicks. Jonas Poppe und Sebastian Dassé von Kissogram bringen als Gaben das Lebensgefühl der 90er in Form von Neonlicht, Elektrobeat und Zappeltanz. Neben Hits gibt es Neues vom brandfrischen Album „Nothing, Sir!“ Apropos frisch gebrannt: Wer die Tür zur elektronischen Plattenbörse öffnete, staunte nicht schlecht. Denn am letzten Abend der Pop Up trafen sich Besucher, um Vinylscheiben durchzustöbern. Nirgends mp3s, kein iPod nicht mal eine CD. Nur Anhänger der guten alten Platte.

Auch an Verächter von „Mädchenmusik“, also Typen, die aus Imagegründen nur Jungsmusik (?!) hören, war gedacht auf der Pop Up: Rummelsnuff lärmte auf der Messebühne, die Eröffnung bestritt die polnische Band The Car Is On Fire. Sie brachten außer Gitarrenpop á la Phoenix beste Laune, Brusthaar und Bonbons mit. Nicht irgendwelche, sondern „Trufelki“ – die süßeste aller schokoladigen Versuchungen aus Polen. Weniger süß als bitter ging es bei den Diskussionen zu. Die alten Gespenster „Stadtmarketing“ und „Kommerz“ trafen auf neue wie „Netzwerke“. Darf die Stadt mit dem „Bild“-Oscar werben und der Pop Up die kalte Schulter zeigen? Wieso kriegt das Bachfest soviel Geld? Darf ein Musikmagazin kostenlos sein – ja, sogar Werbung drucken? Kann uns nur noch die Vernetzung durch Myspace retten? Man musste starke Nerven haben als Zuhörer. Wie Christiane Rösinger, die Sängerin von Britta, bei der Flittchen-Frühlingsgala am Mittwoch vor der Pop Up treffend feststellte: „Klar könnt ihr alle meine Freunde bei Myspace werden, aber deswegen lad ich euch doch nicht zum Geburtstag ein!“ Auch Professor Helge Löbler, der Wirtschaftswissenschafler, rollte beim Wort Vernetzung nur mit den Augen. „Ein Gespenst. Ich halte da nichts von.“ Denn es geht um Menschen. Und die treffen sich seit nunmehr sechs Jahren von Angesicht zu Angesicht auf der Messe.

„Kommst du zu unserem Festival?“ „Hast du mal meine Radiosendung gehört?“ „Ist dein Bruder auch da? Er hat doch letztes Jahr meine Platte gekauft.“ Ob das noch Boheme oder schon Unterschicht ist, interessiert kaum jemanden hier. Man trifft sich, plaudert, verabredet, kauft oder beschenkt, bis jeder jeden kennt. Fanzine trifft Plattenlabel. Liebhaber trifft Musiker. Pseudokünstler trifft Pseudopresse. Rummelsnuff trifft den „Imperator of Pop“ Amos. „Ratet mal, was jetzt mit der Gitarre passiert“, fordert die Reinkarnation von Michael Jackson das Publikum auf, und eh noch jemand grölen kann, trifft das Plastikinstrument auf den Lederschurz der Motorradkluft, um dann mit Wucht zu Boden zu krachen. Pop ist Show. Und das Jammern über den armen Künstler gehört anscheinend genauso dazu wie zerschmetterte Gitarren. Wer hat schon Geld im Überfluss? Vielleicht die Polizei. Mit verstärkter Präsenz von der Innenstadt bis zum Kreuz, gehörte sie dieses Jahr zum Bild der Pop Up. Jeden Abend radelten die Besucher mal mit, mal ohne Licht an den zahlreichen Einsatzwagen vorbei. Unbehelligt, da Musikliebhaber und keine G8-Gegner. Soviel zum Diskurs über das Image der Stadt und die Vernetzung von Sphären.

Zu Besprechungen vergangener Pop Ups:
23.05.2005
Aber hier leben, nein danke? Die vierte „Pop-Up“ diskutiert über das Deutsche in der Musik (Friederike Haupt)
08.05.2004
3. Leipziger „(Pop Up“-Messe

Pop Up

Kissogram

Forsaken People are meeting here
Forsaken people say one more beer
Go back on lucky people’s stance
Forsaken peoples place is here

10.-13. Mai 2007

www.leipzig-popup.de





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