Zwischen Muse und Manie: „Toccata. Ein Nachtstück über Robert Schumann” (Tobias Prüwer)

Toccata. Ein Nachtstück über Robert Schumann
Figurentheater Wilde & Vogel
Lindenfels Westflügel
Regie: Frank Soehnle
Ausstattung & Spiel: Michael Vogel
Elektronische Orgel: Charlotte Wilde
Premiere: 24. Mai 2007
www.westfluegel.de


Zwischen Muse und Manie: Ein Nachtstück über Robert Schumann

Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n, Hab‘ lang und fest sie angeseh’n; Und sie auch standen da so stier, Als wollten sie nicht weg von mir.
Ach, meine Sonnen seid ihr nicht! Schaut ander’n doch ins Angesicht! Ja, neulich hatt‘ ich auch wohl drei; Nun sind hinab die besten zwei.
Ging nur die dritt‘ erst hinterdrein! Im Dunkel wird mir wohler sein.
Franz Schubert: Die Nebensonnen

Nicht immer sind die Dinge leicht auseinander zu setzen. Wie lässt sich die berühmte Distinktion von Geist und Wahn praktisch ziehen? Wann wird Muse zur Manie? Was ist Ich und Nicht-Ich und welchen der vielen Stimmen im Kopf soll man folgen? Damit sind die Themen angesprochen, denen sich das Figurentheater Wilde & Vogel in Toccata. Ein Nachtstück über Robert Schumann widmet. Benannt nach einem Klavierstück des Komponisten, zeigt sich die biographisch inspirierte und von Schumanns Musik und Tagebucheinträgen begleitete Inszenierung als vielschichtiges und experimentelles Spiel um eine tragische Figur.

Dabei ist Toccata kein inszenierter Lebenslauf des Komponisten. Vielmehr werden Episoden, oder besser Stadien, aus Schumanns (1810-56) Existenz zur Aufführung gebracht. Da erscheint ein junger Mensch, dessen musikalische Begeisterung und Ehrgeiz an den Tasten zum exzessiven Etüdenspiel antreiben, dessen enormes Übungspensum und eine eigens zum Fingertraining gebaute Apparatur schließlich zu Verletzung und zum Ende der Pianistenkarriere führt. Da ist die beginnende Liebe zu Clara, der heiße Schwüre folgen und der zähe Kampf gegen den väterlichen Willen, bis sie schließlich seine Frau wird. Und da ist das sich trübende Glück, Blockaden, Versagensängste und Roberts Missgunst, weil er sich im Schatten Claras wähnt, eine Geisterbahnfahrt vom verliebten Überschwang abwärts in Depression und Raserei. Diese endet – unter anhaltender Heimsuchung durch Wahnzustände, Ängste, Depressionen – in einer Bonner Nervenheilanstalt.

In diesem Nachtstück bleibt der Bühnenraum weitgehend lichtlos. Nur die jeweils bespielten Elemente werden wie Tableaus ins Scheinwerferlicht gesetzt; eine Verdunklungsstrategie, die ausgiebiges Schattenspiel gestattete. Den zentralen Teil des Bühnenraumes nimmt ein einfacher Holztisch ein. Auf ihm thront ein in sich zusammengesunkener Schumann. Mit geschlossenen Augen – der Kopf ist zuweilen von einem Tuch bedeckt – hockt er da, sinniert vor sich hin, zwingt sich zu stundenlangen Klavierübungen, klopft in verzweifelter Geste auf das Holz: Tocc, Tocc, Tocc – Toccata. Währenddessen wird dieses Häufchen Elend von seinen Alter Egos umspielt und erscheinen zum Spiel der elektronischen Orgel (Charlotte Wilde) tanzend seine Dämonen. Die Einflüsterungen (fremder?) Stimmen im Kopf finden ihre Darstellung durch den Einsatz von Masken, koboldartigen Figuren und grotesken Gestalten. Dabei werden Sentenzen aus Robert und Claras Tagebüchern vorgetragen, und zwar sowohl vom Figurenspieler Michael Vogel als auch aus dem Dunkeln heraus, was das Spiel um die Alter Egos um eine weitere Ebene bereichert.

„15.2. Ewige Musik während der Nacht u. ekelhafter Schlaf. 20.2. Mondlicht im Kopf.“
Viele Szenen erinnern an Werke Francisco de Goyas: Etwa das pferdegesichtige Wesen im Hintergrund an dessen Gemälde Die Nachtmar, oder das Spiel mit verschleiertem Gesicht an eine Figur aus Der Flug der Hexen und die tänzelnden Dämonenwesen könnten aus den Caprichos stammen. Besonders aber drängt sich bezüglich der Haupteinstellung eine solche Parallele auf. Sie erinnert an Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Um eine auf einem Tisch lehnende Figur schwirren vogelartige Kreaturen herum, symbolisieren Irrationales und Bösartiges. In einer Studie zu dieser Graphik steckt eine interessante Abweichung zum bekannten Bild: Neben dem Vogelwesenschwarm sind auch Noten zu sehen. Die schlafende oder träumende Ratio – die ÜbersetzerInnen sind sich uneins – schöpft hier also auch die Musik, die Kunst. Ganz ähnlich erscheint in Toccata ein Robert Schumann mit musikalischer Obsession, dem im Scheitern am gelebten Künstlertum die Unterscheidung zwischen Muse und Wahn zerfließt, sich im Delirium das subjektive Wollen in Widerfahrnissen auflöst. Diese Erfahrung von fragmentarischer Identität, der Chimäre der Selbstbeherrschung und illusionärer Verstandesautonomie finden sich in der Nocturne höchst poetisch mitgeteilt. Mit Toccata beweisen Wilde & Vogel einmal mehr, welch magische Intensität Figurentheater zu erzeugen vermag.

(Tobias Prüwer)

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