Sonne, Regen, Heiterkeit

Das Wave-Gotik-Treffen 2007: Ein gelungenes Fest und Spaß für Einheimische

Sonne, kaum Wind, volle bis überfüllte Straßenbahnen: Zu Pfingsten war – wie jedes Jahr seit 1992 – das Wave Gotik Treffen angesagt. Also mischte sich das Reporterteam des Leipzig-Almanach unter das schwarze Volk. Sein Ziel: Etwas herausbekommen zu Anspruch und Wirklichkeit dieses Events, sowie seiner Besonderheit. Wo liegt die Differenz zu anderen Großveranstaltungen wie etwa dem Wacken, dem Mera Luna?

Aber alles der Reihe nach, denn eines bleibt wohl immer gleich: der erste Festivaltag geht irgendwie zwischen Ankunft, überfüllten Verkehrsmitteln und Orga verloren. Und das obwohl die örtlichen Verkehrsbetriebe 2007 durch unaufhörlichen Mehreinsatz unendlich viel Sympathie bei den Gästen erweckten. Hatte man sich dann erstmal bis zur Agra-Halle durchgeschlagen, konnte man zwar sofort seine Euros im Marktbereich derselben auf den Kopf hauen, Musik wurde freilich noch nicht geboten. Bis in den späteren Abend hüllte sich die Konzerthalle in tiefes Schweigen. Die Akklimatisierungsphase lies freilich dennoch für manchen noch einen Abstecher ins Werk II zu, wo man den völlig zu Recht in dem Rufe ein Kultprojekt zu sein, stehenden Künstlern von Absolute Body Control zusehen und -hören konnte. Deren wegbereitender früher EBM-Sound wurde hier auch von jüngeren Semestern goutiert. Immerhin hat die Ästhetik der Band spätestens im Zeichen des so genannten Postpunkrevivals wieder die ihr zustehende Aufmerksamkeit erhalten.

Den Höhepunkt sollte an diesem Freitagabend jedoch das Monumentum II darstellen. Dessen Konzept sah eine Vertonung von Grieg, Mahler, Wagner etc. durch die Formation In The Nursery vor, sowie eine diese begleitende Illumination des Völkerschlachtdenkmals. Gedacht als Treuegeschenk an die Leipziger Bürger versprach dieses Experiment zumindest spannend zu werden, stellt das „Völki“ doch ein ambivalentes Stück Kulturerbe dar, dessen meterdicke Hallen und steinerne Totenwächter nicht nur bei Geschichtswissenschaftsstudierenden ein ungutes Gefühl, aber auch Faszination hinterlassen. Doch vor aller Programmatik musste das Wetter stimmen und das zeigte wenig Kooperationsbereitschaft. Es regnete in Strömen, wurde nebelig und generell ziemlich ungemütlich. Dennoch harrten eine Menge, mit Regenschirmen bewaffnet auf die Dinge, respektive Klänge, welche da kommen sollten. Zu den synthetischen Klängen von In The Nursery wurden nun Stück um Stück, Teile des Monuments durch Lichtstrahlen hervorgehoben – hinzu kamen Projektionen und Feuereffekte. Das Ergebnis lag irgendwo zwischen einer Ästhetik des Erhabenen und kitschigem Rathausbeleuchtungstinnef. Aus dem Zusammenfliessen beider Momente ergab sich ein durchaus eigener, kritischer Effekt. Weniger avanciert als Jenny Holzers Laserprojektionen im Kontext der Arbeit KriegsZustand (Leipzig 1996), jedoch allemal eine intelligente Auseinandersetzung und Würdigung.

Samstag: Weibliche Übermalung (pseudo-)männlicher Orte
Nach einem Spaziergang über die Agra-Flaniermeile und einem kurzen Abstecher ins Heidnische Dorf, welches wie schon so oft, mit guter Stimmung und angenehmer Atmosphäre aufwartete, ging es erneut in Richtung Völkerschlachtdenkmal. In dessen Krypta trat die italienische Gruppe Dame Mediolanensi auf. Die drei Damen schafften, was am Vorabend nur ein Traum bleiben konnte: Die italienischen Madrigale, die ruhigen und doch ausgreifenden Lieder von Liebe und Leidenschaft, konterkarierten den Totenburgcharakter der Völkerschlachtkrypta auf das Schärfste. Was dieser Ort mittels Architektur und Monumentalplastik zu verdrängen sucht, kehrte hier wieder. Gelungen, musikalisch gereift, anspruchsvoll – vielleicht zu anspruchsvoll für so manchen Gast, welcher sich lieber „ordentliches Getrommel“ und heroische Posen gewünscht hätte. Für Musikliebhaber jedoch ein Highlight.

Pünktlich um Mitternacht schlug das Redaktionsteam dann im UT Connewitz auf. Das UT bot an diesem Abend dunklen sphärischen Ambient mit Fjernlys, Bad Sector, First Law. Obwohl nicht wirklich überfüllt, hatte sich im Saal bereits eine bemerkenswert hohe Raumtemperatur gebildet und kalte Getränke zu ergattern war so einfach nicht. Passend dazu gab es warmen, leicht treibenden Ambientsoundvon Fjernlys – der Überraschung des Abends. Langweilig wirkte degegen das viel erwartete Fir§t Law-Konzert. Offenkundige Soundprobleme und ein bisschen Gitarrenklimpern, waren zu wenig, angesichts der fortgeschrittenen Stunde. In den Maßen des Genres jedoch vielleicht ein akzeptabler Auftritt.

Reflexionen am Pfingstsonntag
Nachmittags erwarteten uns im UT Connewitz Auftritte von Coph Nia, Brigther Death Now und Desiderii Marginiis – allesamt bekannte Größen des Cold Meat Industry-Labels. Die Band Stormfågel ließen wir an uns vorübergehen, wollten wir doch erst einmal zu Mittag essen. Der Rest der Welt schien dies nicht nötig zu haben, ansonsten könnte man sich kaum erklären das bereits knappe 40 Minuten nach Konzertbeginn das UT aus allen Nähten platzte. Nicht nur konnte man sich – in der Schlange vor dem UT stehend auf knackige zwei Stunden Wartezeit vorbereiten, hinzu kam eine scheinbar spontan organisierte „antifaschistische“ Aktion: Gleich neben den wartenden Gästen und um sie herum hatte sich eine Gruppe Demonstranten eingefunden. Man musterte die WGT-BesucherInnen auf als „einschlägig“ definierte T-Shirts (beispielsweise der Gruppe Death In June), beschimpfte „unsympathisch“ bis „uniformiert“ wirkende BesucherInnen und ging auf mehrere WGT-BesucherInnen los. Da die Situation sich nicht zu bessern schien verabschiedete sich die Redaktion vom UT Connewitz, zugegeben mit einem unangenehmen Gefühl.

Natürlich entwickelte sich dieser Zwischenfall zu dem WGT-Gerücht überhaupt. Deshalb hier der Versuch einer kurzen Reflexion zum Vorfall: Man wünscht sich angesichts des Ganzen vor allem mehr gesunden Menschenverstand bei allen Beteiligten (auch wenn es mit dem gemeinhin vielleicht nicht so weit her ist). Weltklugheit könnte man das nennen – wer uniformiert und mit schwarzen Sonnen, etc. pp. – durch Connewitz rennt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er Probleme kriegt. Hier kämpft man seit Jahren völlig zu Recht gegen die jährlichen Neonaziaufmärsche und man versteht sich auf Anwohnerseite häufig als links. Andererseits: Woher soll ein Publikum das nicht nur aus ganz Deutschland sondern aus der ganzen Welt kommt, wissen welche Befindlichkeiten hier vor Ort herrschen? Bereits der Fall Laibach sollte gezeigt haben, wie kompliziert und ambivalent dieses Feld ist, – auch die Linke braucht Weltklugheit, keine Politik der Reinheit. Und niemand möchte sich von angetrunkenen, aggressiven, selbsternannten Kiezpolizisten mustern lassen. Insgesamt bleibt der Eindruck einer zunehmend notwendiger werdenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Industrial/Neofolkszene. Dies würde auch Teilen der linken Szene helfen ihre Ansprüche besser zu vertreten. Die Qualität von Information, Diskussion, interner wie externer Argumentation und Aktion sind vornehm ausgedrückt suboptimal – ihre gewalttätige Seite nicht zu tolerieren. Andererseits ist die szeneinterne Reaktion in Großteilen ebenso banal und lächerlich. Erst einmal abschließend also ein Plädoyer für Weltklugheit und eine (auch selbst-) kritische und nicht selbstgerechte Auseinandersetzung mit den verschiedenen historischen, politischen, ethischen und ästhetischen Aspekten und Praktiken dieses Phänomens.

Wir fuhren weiter in Richtung Schauspielhaus. Schon eine halbe Stunde vor dem offiziellen Einlassbeginn, hatte sich dort eine Schlange gebildet. Und so kam es wie es kommen musste: Ruckzuck war die Bude voll. Circa 300 Menschen standen vor dem Schauspielhaus und konnten sich nach einer Ersatzbeschäftigung umsehen. Sehr schön übrigens, die „Hoch die schwarze Solidarität“-Rufe vor dem Eingang. Sehr komisch.

Recht durchnässt ging es später zum „Anker“, welcher anders als das UT Connewitz, doch eher dezentral liegt. Der hübsche Innensaal und die gemütliche Kneipe erfreuten jedoch sichtlich alle Anwesenden, die Stimmung war gut – Gossip und Selbstmitleid gab es ja genug. Als erste Band erfreuten uns sodann All my faith lost. Auf die Dauer ein wenig zu ätherisch-traumverloren, zeigten die dennoch Spielfreude. Ein gelungenes Konzert – auch wenn das Publikum so laut schnatterte wie ich es noch nie gehört habe. Sodann betraten Lux Interna die Bühne. Diese Band war dem Redaktionsteam völlig unbekannt, gefiel uns jedoch allen grandios. Die Musik der Damen und Herren mit dem guten Geschmack hat zwar mit Neofolk im klassischen Sinne nicht viel, dafür aber mit Folk, Country, Singer-Songwritermusik im Allgemeinen, sowie Nick Cave und Bonnie „Prince“ Billy im Besonderen, sehr viel zu tun. Eine großartige, jenseits der engen Szenegrenzen operierende Band, der man Erfolg mit ihrem neuen Album „God ist not dead for the birds“ wünscht. An den Trommeln konnte man übrigens von Zeit zu Zeit Henryk Vogel von Darkwood bewundern. Dieser gab schließlich „Des Falken Flug“ zum Besten, welches dann wieder von „normalen“ Szenechefs abgefeiert werden konnte. Anders als Lux Interna waren für uns Rome keine Unbekannten. Das Luxembourger Projekt hat innerhalb kürzester Zeit zwei reguläre Alben sowie ein Minialbum auf Cold Meat Industry herausgebracht auf denen es 80er Jahre Wave, Martial Industrial und Neofolk gekonnt mischt. Der Auftritt brachte dann wenig Neues, bis auf die Einsicht, dass verkniffen dreinblickende Trommler albern sind und ein bisschen Lockersein (hier im Falle des Sängers) hilft. Allerdings: „The Consolation of man“ verhauten die drei Musiker wirklich großartig und „Der Wolfsmantel“ war einfach furchtbar. Fazit: eigentlich machen Rome halt verdammt guten Wave mit anderen kurz herein schauenden musikalischen Ergänzungen. Wenn sie ihre musikalische Qualität nicht mehr hinter Posen verstecken, werden wir großartige Konzerte erleben dürfen. Schließlich traten noch – weit nach Mitternacht Ataraxia auf, die ein für Fans sicherlich sehr interessantes Set spielten. Der Anker-Abend entschädigte eindeutig für die sinnlose Warterei vor dem Schauspielhaus.

Pfingstmontag: Spassig war es allemal
Am frühen Nachmittag sahen wir erneut dem Treiben auf dem Agra-Gelände zu, lauschten Schwermetallisch-mittelalterlichen Kompositionen und dem Alleinunterhalter vor der Agrahalle. Dieser bot erheiternde Black und Deathmetalcomedy – sehr anarchisch, sehr kurzweilig, sehr auf den Punkt.

Zum Finale des WGT fand sich unsereins dann abends im Volkspalast ein. Ein gleichermaßen kitschiges wie großartiges Ambiente (nennen wir es mondäner Imperialkitsch) erfreute die Besucher dort. Pünktlich zu Kammer 7 betraten wir die von Polizisten wahrscheinlich aufgrund des Vortages bewachte Halle. Spätestens bei dem Lied „Vater“ verließen wir diese aber gleich wieder und nutzen das scheinbar inexistente Peinlichkeitsgefühl des Publikums um uns an der leeren Theke mit Getränken zu versorgen. Bühnenperformance und Texte der Band sind einfach nicht gut – und „Vater“ ist schlichtweg pathetisch. Die Band kennt keine Distanz in ihren Liedern und ist musikalisch dann doch zu bewandt um mit Naivität punkten zu können. An den Trommeln waren übrigens wieder die Leute von Traum’erleben, deren Konzert am Sonntag trotz Regen im heidnischen Dorf gut aufgenommen wurde – was nicht wirklich wundert. Auf Kammer 7 folgten :Golgotha:. Deren scheinbar erster Auftritt – komplett in Masken – spaltete das Publikum, gefiel dem Redaktionsteam jedoch ausgesprochen gut. Ihr grandioses Motto „To fall not to fly is the law“ und ihre durchaus cleveren Kommentare zu Musik, Texten und Konzepten überzeugten bereits im Vorfeld, und auch ihre eindeutig inszenierte, sehr artifizielle Live-Darbietung konnte Punkte sammeln. :Golgotha: ist eine eher klassische Neofolkband – greift auf die langsam verschütteten Aspekte der frühen Bands um World Serpent Distribution zurück und schafft es dadurch, nicht in die romantisch-verklärten Retroutopien oder WK II Szenarien anderer Bands abzurutschen. Künstlichkeit, Distanz und Ironie töten dabei nicht die Qualität oder emotionale Intensität der Darbietung, vielmehr erschließen sie eben jene erst – entgegen dem Klischee der ungebrochenen Authentizität. Damit stehen sie in der aktuellen Szene ziemlich allein dar. Apoptose und der Fanfarenzug Leipzig gingen dann konsequent weiter den Weg Richtung „Ritual“. Ihre sphärischen Ambientsounds trafen auf das Snare-Gewitter des Fanfarenzuges und tauchten den Konzertsaal in ein martialisch-mystisches Zwielicht, untermalt von christlichen Prozessionsaufnahmen. Großartig. Bei Jesus & the Gurus, erwarteten einen pseudolaibach’eskes Gepose, Goth-Rock und militärisches Getrommel: Es war sturzlangweilig und wir verließen den Saal.

Derniére Volonté im plötzlich rappelvollen Donnerkuppelsaal ein sehr poppiges Konzert, bei dem das anwesende Publikum manchmal sogar tanzte! Zumindest ein bisschen. Das französische Projekt ist zur Zeit sehr umstritten und ich kann jedem nur empfehlen sich mit den französischen Texten – falls die Musik überhaupt interessiert – zu beschäftigen, um sich dann ein kritisches Urteil zu bilden. Musikalisch ist DV allerdings inzwischen eine 80er Retrodancecombo mit starken Perkussionelementen. Geoffroy P. wird wohl ein Popstar und ist auf der Bühne eine absolute Bereicherung – endlich mal jemand der Spass bei einem Auftritt hat. DV sind wahrscheinlich einfach die neuen DAF. Auf die Konzerte folgte dann noch eine spontane und gut besuchte Aftershowparty.

Was bleibt
Herausstechend ist am WGT eindeutig, wie die Veranstalter es schaffen, dem Publikum die Stadt zu erschließen. An einem Wochenende wird dieselbe in all ihrer Vielfalt erfahrbar. Ein gelungenes Fest, welches in Leipzig selbst angekommen zu sein scheint, und auch einen Spass für viele Einheimische darstellt (Grufties-Gucken im Park). Das Festival ist im Rahmen der „Farbe“ Schwarz sehr bunt, macht Spass und ertrinkt nicht völlig in Posen. Dafür den netten Menschen einen Dank!

Wave-Gotik-Treffen 2007

25. bis 28. Mai 2007

www.wave-gotik-treffen.de

Rezension zum WGT 2003:

12. Wave-Gotik Treffen, Pfingsten 2003 (Tom Fischer)

Zu den Diskussionen auf Indymedia:

Nachbericht zum WGT – Leipzig / Presse EchoWGT Leipzig- internationales Nazitreffen

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