Ludwig van Beethovens Violinenkonzert und Robert Schumanns Rheinische Sinfonie in der Instrumentierung von Gustav Mahler an einem Abend im Gewandhaus
Zwischen die Titanen der Musikgeschichte hat Riccardo Chailly Wolfgang Rihms Stück Ernster Gesang für Orchester platziert. Welche Kraft das kleine, nur dreizehn Minuten lange Stück hat und gerade im Kontrast mit den Evergreens der Klassik entfaltet, ist das bleibende Erlebnis am heutigen Abend.
Ludwig van Beethovens Violinenkonzert ist ein Werk, dass vom Solisten Höchstes abverlangt. Gegen die unendlich scheinenden Wiederholungen und die pathetischen Steigerungen setzen viele Interpreten ein hohes Tempo. Dass es auch anders geht, ist heute zu hören. Schon den ersten Satz beginnt Riccardo Chailly mit wohlkalkulierter Langsamkeit. Viviane Hagner folgt, anfangs noch etwas zurückhaltend, diesem Ansatz und es beginnt ein wunderbar intensives Zusammenspiel des Orchesters mit der für den erkrankten Sergey Khachatryan eingesprungenen Solistin. Der zweite Satz beginnt fast statisch, die Töne scheinen stehen zu bleiben, gegen die gedämpften Streicher des Orchesters setzt Viviane Hagner gefühlvolle Figuren. Die nun beginnenden Wiederholungen dämpfen allerdings den feingliedrigen Hörgenuss etwas.
Nach der Pause überrascht die ungewöhnliche Sitzordnung und Instrumentierung des Orchesters. Anstelle der ersten Violinen vier Klarinetten, anstelle der zweiten Violinen ein Englisch-Horn, zwei Fagotte, ein Kontrafagott. Das Stück Ernster Gesang für Orchester ist aus Anlass des 100. Todestages von Johannes Brahms entstanden. Wolfgang Rihm bedient sich kräftig der dunklen (Brahms-)Farben, biografisch hat er den Tod seines Vaters verarbeitet. Ein dunkler Plot im Kontrast zum pathetischen Violinenkonzert und zur folgenden lichten Rheinischen Sinfonie Schumanns.
Die Klarinetten tasten sich zu Beginn an das Hauptthema des 3. Satzes von Brahms´ 3. Sinfonie heran, die Töne werden gedehnt und extrem verlangsamt. Über diese sphärische Stimmung legt Rihm eine Folie mit eigenartigen verwischt wirkenden Hörnern. Kontrastiert wird das Ganze durch tiefe Tuben, eine drückende Atmosphäre ist die Folge. Die Bratschen sind die hellsten Punkte, sehr narrativ entwickeln sie farbige Linien. Die Ausbrüche im Blech werden immer wieder von den Klarinetten aufgefangen. Nach dreizehn Minuten endet das äußerst komplexe dichte Stück. Riccardo Chailly und die Musiker des Gewandhausorchesters sind weit weg in diesem Moment, so ernsthaft haben sie sich in die melancholischen Stimmungen gespielt.
Riccardo Chailly kann es kaum erwarten, noch in den Applaus hinein beginnt er Robert Schumanns Ohrwurm. Dynamisch und hochmotiviert, als hätte es Rihms dunkle Komposition nie gegeben peitscht er sein Orchester voran. Ganz Meister für dramaturgische Momente gestaltet er die Überfülle der sich türmenden Farben und Instrumentierungen. Eine packende Intensität erreicht das Gewandhausorchester in oszillierenden Momenten wie man sie aus der Neuen Musik kennt. Beim tiefen satten Streicherklang zu Beginn des zweiten Satzes ist das Orchester auf allerhöchstem Niveau und eigentlich hätte hier Schluss sein können, doch solch konzentrierte und reduzierte Haltungen wie sie die Komposition von Wolfgang Rihm heute demonstriert hat, war dem Romantiker Robert Schumann noch fern. Und hier liegt das Spannende des heutigen Programms: Auf der einen Seite die Evergreens, die sich immer wieder gut anhören, aber auch schnell ermüden, auf der anderen Seite ein neues konzentriertes Stück, welches irritiert, neugierig und wachsam macht. Das heutige Programm gerät so gerade wegen der ausgewogenen Klassiker zu einem Appell für die Notwendigkeit der steten Aufführung Neuer Musik.
Großes Concert
Ludwig van Beethoven: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Wolfgang Rihm: Ernster Gesang für Orchester
Robert Schumann: 3. Sinfonie Es-Dur op. 97 („Rheinische“)
Instrumentation von Gustav Mahler
Gewandhausorchester
Dirigent: Riccardo Chailly
Violine: Viviane Hagner
1. Juni 2007, Gewandhaus,Großer Saal
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