Ästhetisches Potpourri

Peter Sloterdijk liest im Bildermuseum über den Pluralismus der ästhetischen Urteilskraft

Wir wissen alle, daß Kunst nicht Wahrheit ist. Die Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. … Daß diese Lügen für unser geistiges Selbst notwendig sind, steht außer Frage, denn mit ihrer Hilfe bilden wir uns eine ästhetische Lebensanschauung.
Pablo Picasso: Worte des Malers Pablo Picasso (hrg. v. Josef Haase)

Lässt sich über Geschmack streiten? Ganz gewiss! Unklar ist bis heute, auf welcher theoretischen Basis ein Disput ums ästhetische Urteil vonstatten gehen sollte. Vielleicht aber existiert eine solche allgemeinverbindliche Grundlage gar nicht und der Rückgriff auf eine solche Chimäre ist das eigentliche Problem von Kunstbetrachtung und -diskussion. Dies zumindest vermutet der Philosoph Peter Sloterdijk, der im Leipziger Bildermuseum sein Buch Der ästhetische Imperativ vorstellte.

Die meisten Menschen kennen Peter Sloterdijk aus dem Fernsehen. Dort tritt der Professor für Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und zudem deren Rektor, als etwas schwerfälliger Moderator des Philosophischen Quartetts in Erscheinung. Viel überzeugender zeigt er sich allerdings als Mann des geschriebenen Wortes, von dem seine zahlreichen Publikationen künden. Seine zumeist essayistisch gehaltenen, kunstvoll fabulierten Reflexionen überschreiten die ohnehin unscharfe Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft. Dies trifft auch auf seine neuste Veröffentlichung zu. Das seitenstarke Bändchen ist eine Zusammenstellung verschiedener Arbeiten, bereits erschienene und unveröffentlichte, zum Topos der Kunst. Die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung durchaus verschiedenen Schriften eint das Misstrauen gegen ästhetische Glaubensgrundsätze. Sie stellen die Existenz eines solchen Dogmas – Der ästhetische Imperativ – in Frage, lehnen verallgemeinernde oder gar absolute Urteile ab und leiten an, sich solcher Apodiktik zu entziehen. Im Bildermuseum nun gab der Autor vier Textauszüge zum Besten.

Zu hören war von diesen allerdings zu Beginn der Lesung wenig. Die installierte Akustikanlage war nicht für die vielen BesucherInnen ausgelegt, weshalb Sloterdijks Vortrag für das Publikum im hinteren Teil des Saales zunächst Fragment blieb. Gut beraten wäre man da gewesen, das Aufsatzbändchen bereits im Besitz zu haben. Dann hätte man mitlesen und vom anregenden Inhalt erfahren können. So kennzeichnet Sloterdijk in seinem ersten Text das Museum als Schule des Befremdens, in dem Sehgewohnheiten gestört werden. Durch einen provozierten anderen als den geübten Blick kann hier beim zweiten Hinsehen Fremdartiges entdeckt werden. Jedoch warnt er gleichsam, Museen nicht als Verwahranstalten des Historismus zu entwerfen. In Bekenntnisse eines Verlierers ironisiert Sloterdijk zum Sujet der Lebenskunst und hebt zum Lob der Lüge an. Er preist augenzwinkernd deren motivierende, selbstschöpferische Kraft in einer Welt der einfachen Wahrheiten. Hierin zielt der Text sowohl auf die an den spätmodernen Menschen gestellten Zumutungen ab, sich inszenieren und verkaufen zu müssen, wie auch auf die naiven Vorstellungen, die Komplexität der Welt lasse sich in einer Wahr-falsch-Matrix feststellen.

Dies alles verpasste, wer, wie gesagt, in den hinteren Reihen saß. Schließlich besserte sich der akustische Rahmen: Das Mikro wurde näher an Herrn Sloterdijk herangerückt und dieser fand zu Ton und Sprache. Nun spekulierte er in Auszügen aus einem längeren Text mit apolitologischen Überlegungen über Die Stadt und ihr Gegenteil. Seit den Tagen der griechischen Polis sei die Idee der Urbanität mit jener des Nichturbanen eng verbunden gewesen: Wer in einer Stadt lebt, will dieser immer auch entfliehen. Sloterdijk nennt dies als Grund, warum er es beispielsweise in München für längere Zeit aushielt. Die Stadt offerierte einen großen Flughafen, der sie mit den schönsten Orten weltweit verband. Über Karlsruhe allerdings schwieg er sich aus und prognostizierte angesichts planetarer Warenströme und provinziellem Outsourcing das Ende der städtisch geprägten Geschichte.

Im vierten und letzten Text, der Erinnerung an die Schöne Politik, schließlich reflektierte Sloterdijk über den Entstehungskontext von Schillers Ode an die Freude und Beethovens 9. Symphonie. Diese, anlässlich der Feierlichkeiten zum 3. Oktober 2000 vor versammeltem Konzertpublikum gehaltenen Vorrede, geriet damals zum kleinen Politikum. In seinem Vortrag sprach er nämlich von der im schwelgerischen Idealismus enthaltenen Gefährlichkeit der politischen Ästhetisierung wie ästhetischen Politisierung. Die missfiel damals offenbar den vorfreudigen Geistern. Dabei hat Sloterdijk durchaus Recht, wenn er die gegenwärtige Trennung der politischen und ästhetischen Dimension als zivilisatorische Errungenschaft preist und die im berauschten Deutschen Idealismus vollzogene Selbsterhöhung des Bürgertums zum alles vereinenden Gattungswesen vorführt. Hier sei nur an jene patriotischen Wadenbeißer im Vorjahr erinnert, die zornig kläfften, nur weil man ihre Vaterlandsliebe und das Interesse am Ballsport nicht teilte. Auch ihnen hätten Sloterdijks erhellende Worte gelten können. Denn gerade hinsichtlich der ganz großen Emotionen in ästhetischer Verzückung gelte es, den klaren Kopf nicht ganz zu verlieren. Genuss: ja und unbedingt, aber mit Vorsicht. – Der Philosoph erntete anhaltenden, überschwänglichen und man hofft: bedachten, Applaus.

Lesung – Peter Sloterdijk: Der ästhetische Imperativ
Bildermuseum – 6. Juni 2007
Hrg. v. Peter Weibel
EVA Europäische Verlagsanstalt
Hamburg 2007
522 S. – 25,00 €
www.philo-philofinearts.de

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