Simulierte Gelehrsamkeit

Julian Nida-Rümelin doziert über „Demokratie und Wahrheit“

Eine Kultur, die die Vorstellung fallengelassen hätte, sie müsse entweder ein Zentrum oder eine feststehende Klassifizierung wirklicher und möglicher kultureller Leistungen aufweisen, wäre eine, in der die Entwicklung der Kultur als Verlängerung der biologischen Evolution angesehen würde und als ebenso eines Telos ermangelnd und unvorhersagbar wie diese. Eine solche Kultur würde ihr wichtigstes Ziel nicht in der Wahrheit, sondern in der Freiheit erblicken, …
Richard Rorty: Eine Kultur ohne Zentrum

„Öffentlich. Eintritt frei“: Erneut lud Georg Meggle, Professor für Philosophie, im Namen der Leipziger Universität zum letzten Mal unter seiner Regie zum Sonntagsgespräch. Es war bereits das 25. und steht in einer langen Reihe hitziger Dispute und anregender Debatten. Solcherlei war dieses Mal zu vermissen, was nicht am Veranstalter, sondern an der Qualität des Vortrags lag.

Dabei hatte sich nicht irgendwer angekündigt. Julian Nida-Rümelin, Münchner Philosophieprofessor, genießt als ehemaliger Kulturstaatsminister im rot-grünen Kabinett und durch sein publizistisches Arbeiten auch außerhalb akademischer Kreise vielfache Beachtung. Umso mehr verwunderten Beliebigkeit und Seichte seines demokratie-theoretischen Referats, das durch Verschulden der Deutschen Bahn AG verspätet begann. Dieses offerierte die folgende These: Demokratie darf, um wirkliche Demokratie sein zu können, auf Wahrheitsansprüche nicht verzichten. Diese normative Feststellung unterstrich Nida-Rümelin, indem er Demokratie als immer schon argumentativ angelegt beschrieb und seine Forderung damit de facto als eingeholt ausgab.

Die Politik wurde in den Ausführungen begrifflich sehr eng gefasst und fände lediglich in den Parlamenten durch offizielle Hand statt. Alle anderen im normalen Sprachgebrauch durchaus als politisch benannte Erscheinungen wurden als „vorpolitisch“ gekennzeichnet. Politik ist dabei für Nida-Rümelin weder durch den Schmittschen Freund-Feind-Antagonismus bestimmbar, noch durch liberales Den-Markt-Markt-sein-Lassen oder als (postmodernes) Spiel um Identitäten, sondern als das Ringen um Wahrheitsansprüche. Er spricht darum von der „deliberativen“, also einer beratenden, beratschlagenden Demokratie. Leider war nicht zu erfahren, wie in systematischer Hinsicht vom Wahrheitsanspruch zur Wahrheit zu gelangen ist. Denn der Hinweis, dass man zu einer Einigung gelangt, sagt nichts über deren Gehalt, und parlamentarisches Abnicken reicht sicherlich nicht aus, um von Wahrheit zu reden. Somit blieb leider spekulativ, wie diese zu verstehen ist, wird sie nicht einfach mit konsensualer Einigung und Kompromiss gleichgesetzt. Dergleichen schwieg sich Nida-Rümelin darüber aus, dass diskursive Situationen durch die Rede vom besseren Argument nur unzureichend beschrieben werden. Denn die diesen unterliegenden Machtstrukturen, widerstreitende Interessen und strategische Züge werden dadurch ausgeblendet, sind aber aus der Praxis nicht wegzudenken. Auch an anderen relevanten Fragen wurde nicht gerührt. Welche normativen Wahrheitsansprüche artikulieren sich etwa in unserer Kultur, welche Werte lassen sich explizieren? Was bedeuten diese Wahrheitsansprüche für ein gemeinsames Zusammenleben und für den Umgang mit anderen kulturellen Lebensformen und deren Ansprüchen? Muss es neben der integrativen Dimension auch eine exklusive geben? Wenn ja, wie soll solch ein Ausschlussmechanismen funktionieren?

Fragen, die leider keine Antwort fanden. Im Vortrag kamen natürlich auch eindeutigere Punkte zur Sprache, an denen Nida-Rümelin rundweg zuzustimmen ist. Etwa wenn er zur Vorsicht gegenüber dem zunehmenden religiösen Fundamentalismus, sei er nun christlicher oder einer anderen Ausprägung, und der damit einhergehenden konservativen Kultur- und Wertkritik aufrief. Oder seine Bedenken hinsichtlich des schwindenden Bildungsanspruchs hiesiger Universitäten nach der Bachelor-Master-Umstellung. Oder der Kritik am Berufspolitikertum, in welchem er eine deutsche Fehlentwicklung erspäht: Die Karriere im Blick, sind die meisten mehr auf parteiinternes Wohlwollen als auf gesellschaftliches Wirken und Gestalten aus. Solch griffige Kritiken sind selbstverständlich nicht neu. Einerseits aber können sie nicht oft genug wiederholt werden, verhalfen andererseits dem Vortrag natürlich nicht zu inspirierenden Einsichten. Nun mag man Nida-Rümelin zugute halten, dass er einen populären Vortrag hielt, der eben nicht an ein Fachpublikum gerichtet war. Dann ist dieser allerdings am angekündigten Thema vorbeigeschrammt, denn er kam über den Hinweis auf diskursive Praxen in der Politik nicht heraus. Er blieb ein bunter Strauß aus Theorem und etwas Praxiskritik, der leider mehr den Charakter einer Predigt trug, denn gelehrter Vortrag war.

Besonders schade war, dass es aufgrund des zeitlichen Rahmens zu keiner Diskussion über das Referierte kam und der Streit ums bessere Argument gerade hinsichtlich dieser kleinen Demokratietheorie nicht ausgetragen wurde. Ein solcher ist in der Reihe der Sonntagsgespräche immerhin oft geglückt, auch wenn er dieser Abschiedsveranstaltung für Georg Meggle als Organisator nicht vergönnt war.

Lesung – Julian Nidan-Rümelin: Demokratie und Wahrheit
Das Sonntagsgespräch der Universität Leipzig
Moderation: Georg Meggle
Neues Rathaus
24. Juni 2007
www.uni-leipzig.de/sonntag

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