Philosophisches Selbstversichern

Der Philosophieprofessor Pirmin Stekeler-Weithofer ist zu Gast im Thomasius-Club und stellt sein neues Buch „Philosophiegeschichte“ vor

Pirmin Stekeler-Weithofer

Philosophie“ heißt: „Liebe zur Weisheit“. Die ganze Weisheit (Einsicht, Wahrheit) findet sich … nicht in dieser oder jener ihrer Arten, sondern im Ganzen ihrer Formen. Genommen als Einheit von Einsicht und Einstellung, zeigt sich in der Vielfalt des Philosophierens eine Vielzahl von Aspekten, unter denen man die Welt … betrachten kann.
Richard Raatzsch: Philosophiephilosophie


PhilosophInnen klären die großen, vielleicht sogar die letzten Fragen. Das Problem dabei ist nur, dass niemand ihre Antworten versteht. Dies ist ein gängiges Klischee. Mit diesem Vorurteil haben nicht nur, aber besonders BerufsphilosophInnen zu leben. Wenn nun einer noch dazu ein Buch namens Philosophiegeschichte schreibt und dieses im Thomasius-Club vorstellt, wo das gelehrte Gespräch Programm ist, dann ist ein drögerer Abend eigentlich kaum vorstellbar. Auch das sollte sich als ein Vorurteil erweisen.

Gleich zu Beginn räumte Pirmin Stekeler-Weithofer, Leipziger Philosophieprofessor, mit dem ersten Missverständnis auf: Bei seinem Buch handele es sich um keine Geschichte der Philosophie – à la „Von Platon bis heute“ -, sondern es habe das Sujet der Philosophiegeschichte. In ihm werden die Weisen der Philosophie-Geschichtsschreibung erörtert und kritisiert, beispielsweise der häufig anzutreffende Zugriff über die Biographie: Weil Mr. X an einer syphilitischen Entzündung litt, schrieb er seine amoralische Sentenzen. Gleichsam ist Stekeler-Weithofer der leichtfertige Umgang mit allerlei Ismen ein Übel, wie er sich auch gegen willkürlich gesetzte Anfänge ausspricht, welche suggerieren, dass beispielsweise plötzlich einem Herrn wie Anaximander ein philosophisches Problem auf den Kopf gefallen wäre. Seine Arbeit sei hingegen eine (historische) Selbstversicherung der Philosophie und ihrer Probleme wie zum Beispiel die sinnvolle Rede von „Geist“ oder „Erkenntnis“. Wenn sich Stekeler-Weithofer hierbei zu großen Teilen in Hegels Fußstapfen bewegt, tritt seine Motivation offen zu Tage, die er auch nicht leugnet. Hier drückt sich der Unwollen gegen die verbreitete oberflächliche Second-hand-Hegelkritik aus, die dem Grand Monsieur des Deutschen Idealismus die Projektion seines Systems in die Vergangenheit vorwirft, ohne ihn je gelesen zu haben. Mit Hegel ruft Stekeler-Weithofer die oft und gerade in den Wissenschaften vergessene Geschichtlichkeit des Denkens in Erinnerung und wendet sich gegen die Mythisierungen in Gesellschaft und Wissenschaft, wie die Hörigkeit von Zahlenspielen und empirische Gutgläubigkeit. In Philosophiegeschichte wird mit Karikaturen und polemischen Bemerkungen wahrlich nicht gespart, was genug Stoff für eine lebhafte Diskussion bieten sollte.

Thomasius-Club im Horns Erben

Dass dies der Fall sein sollte, zeichnete sich bereits in der ersten Bemerkung des Moderators Ulrich Johannes Schneider, seines Zeichens selbst Philosoph und Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek, ab: Er verwies auf die Möglichkeit, das vorgestellte Buch käuflich erwerben zu können, sei sich aber nicht sicher, ob das Publikum dieses nach der Talkrunde noch zu tun gedenke. Schneider versuchte sich zwar in der vermittelnden Rolle zu üben, war aber doch zu sehr Philosoph, um diese einzuhalten. Das war aber bei weitem kein Manko, sondern der Hauptgrund für das Gelingen des Abends. So musste sich Stekeler-Weithofer die Frage gefallen lassen, warum man solch einen Corpus anfertigen muss, nur weil Hegel auch andere Auslegungen widerfahren. Weiterhin bemängelte er, dass im Buch Positionen angegriffen werden, von denen unklar bleibt, welche Personen gemeint seien. Nicht einmal den Fußnoten käme klärender Charakter zu, sie seien schlicht Material, das aus dem Text gefallen ist. Damit bleibe, so Schneiders Fazit, die Polemik unscharf und wenig interessant. In der Debatte über philosophische Geschichtsschreibung kritisierten nun Schneider wie Stekeler-Weithofer den Stil der Heldenerzählungen, in denen aufeinander folgend große Denker – und nur um Männer handelt es sich – die Weltbühne passieren, weise sprechen und abtreten. Sie waren sich allerdings uneinig, ob solcherart Heroisierung auch in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie stattfindet. Stekeler-Weithofer verneinte vehement. Hegel hätte lediglich einzelne Personen als Beispiele eingeführt, sie als „Schachfiguren“ benutzt, um Positionen zu kennzeichnen. Das sei diesem auf die Füße gefallen. Und nun, da er Hegels Projekt noch einmal angestoßen hat und dabei absichtlich auf personale Kennzeichnungen verzichtete, wird ihm gerade dieses vorgeworfen. Selbstverständlich, dass Schneider Paroli bot. So rangen die divergenten philosophischen Auffassungen miteinander. Ihr Spiel ums Für und Wider, das Umkreisen ohne Einzukreisen, war nicht nur intellektuell anregend, sondern kam auch ganz amüsant zur Sprache.

Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte, lautet eine landläufige Meinung. Auch dieses Vorurteil sollte sich nicht bestätigen. Denn Moderatorin Claudia Albert, Germanistin und außerplanmäßige Professorin an der Freien Universität Berlin, befand sich ob des philosophischen Schlagabtauschs in keiner glücklichen Situation, war sie hier doch von vornherein als randständige Figur markiert. Diese Stellung versuchte sie mittels durchaus bewusst gepflegter Sorglosigkeit ihrer Fragen zu korrigieren. Was nicht recht funktionieren sollte. Da war der missglückte Anfang, ins Gespräch zu kommen, über die ihrer Meinung nach luzide Buchwidmung „Für Luzie“. Im nächsten Vorstoß zur – arbiträren, weil durch die alphabetische Ordnung entstandenen – Aneinanderreihung von Leibniz, Lenin, Lessing im Register, versuchte sie Stekeler-Weithofer zu Spekulationen über eine Verbindung zwischen diesen Personen zu bewegen. Auch die zu erwartende Frage nach seinem Verhältnis zum Philosophen Heidegger, der im selben Meßkirch geboren wurde, in dem auch der Buchautor zur Welt kam, gestaltete sich als Eigentor. Albert spickte die Frage mit der Seite einer französischen Zeitung: Ein Heideggerphoto und die Zeile „Heil Heidegger!“ waren darauf zu sehen. Als ob dessen Naziaffinität nicht allbekannt wäre, muss man fragen, warum der Moderatorin nichts Originelleres hätte einfallen können. Sie schob die Frage nach, ob Meßkirch ein besonders philosophisches Örtchen sei. Schließlich bezichtigte sie Stekeler-Weithofer eines entstellten Hölderlinzitats. Dass dieser Vorwurf unlauter war, erschloss sich dem Autoren dieses Artikels erst beim späteren Nachschlagen. Es ließe sich höchstens eine unkorrekte Bezugnahme konstatieren: Stekeler-Weithofer hatte Hölderlins Erwähnung vom „heiligen Herz“ der Völker aus dem Gesang des Deutschen mit Deutschland gleichgesetzt, während er Hegels Jubel der deutschen Heimat der Philosophie kritisierte. Dieses Ineinssetzen mag falsch sein, es allerdings zum großen Kritikpunkt zu stilisieren, ist nur mit äußerstem Wohlwollen nicht als philologisches Ressentiment auszulegen. War Alberts Rolle der sich unbedarft Gebenden und spritzig von der Seite her Fragenden auf Unterhaltsamkeit angelegt, gestaltete sich die inszenierte Gedankenlosigkeit in der Ausführung eher peinlich.

Auf die wenig feinsinnigen Provokationen ging Stekeler-Weithofer aber gar nicht erst ein. Er wahrte die Facon und Entlarvendes kam nicht zur Sprache. Dass er so ganz nebenbei die philosophischen Strömungen bis in die Gegenwart als der Hegelschen Kritik noch immer ausgesetzt ansieht, ist bei einem populären, auf Zuspitzungen ausgelegten Gespräch vielleicht nicht ganz so ernst zu nehmen. Zumal er an späterer Stelle, auf die Frage, warum er immer wieder Hegel ins diskursive Feld führt, antwortete: „Weiß ich eigentlich auch nicht,“ und damit insgeheim Fichtes Diktum von der Abhängigkeit der Wahl der philosophischen Methode vom persönlichen Charakter das Wort redete. Wer letzte Antworten auf große Fragen an diesem Abend erwartete, wäre besser zum Wahrsager gegangen. Denn das Gespräch war genau das, was sich der Thomasius-Club seinem Namensgeber gemäß auf die Fahnen geschrieben hat: Eine muntere, offene, aber vernünftige Disputation, die zwar durchaus unterhaltsam sein kann, aber nicht als gewolltes Edutainment zu haben ist.

Pirmin Stekeler-Weithofer zu Gast im Thomasius-Club

Ein Gespräch über das Buch „Philosophiegeschichte“ „De Gruyter – Berlin & New York 2006, 279 S. – 19,95 €)

11. Juli 2007, Horns Erben

www.thomasius-club.de

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