Liebe, Rausch und Tod: Okamoto Hoichis „Manji” (Tobias Prüwer)

Hyakki Dondoro-gekikan: Manji
Im Rahmen von OHAYÔ, JAPAN! – Festival für japanisches Theater
Lindenfels Westflügel
Spiel: Okamoto Hoichi
Europapremiere: 11. Juli 2007


Liebe, Rausch und Tod: Okamoto Hoichis Figurenspiel im Westflügel

Die Erforschung des Schönen ist ein Zweikampf, in dem der Künstler vor Schrecken schreit, bevor er unterliegt.
Charles Baudelaire: Der Spleen von Paris

Der Bühnenraum ist leer. Fast. Drei bunte, floral-gemusterte Paravents sind zu sehen, zwei im Hintergrund, einer vorne. Plötzlich kippt dieser um, gibt den Blick frei auf eine Bettstatt. Darauf ruht friedlich ein Paar. Musik setzt ein und Okamoto Hoichi beginnt stumm sein Spiel.

Ruhig, mit kleinen Bewegungen wird die Europapremiere von Manji eröffnet, die der Lindenfels Westflügel im Rahmen des Festivals für japanisches Theater zeigt. Eros und Thanatos sind Thema des Stücks. Das Figurenpaar, mit weißen Gesichtsmasken und Kimonos dargestellt, durchlebt zärtliche und wollüstige Stadien der Liebe, bis sich, von stürmischem Wind herangetragen, Krankheit und Tod einschleichen. Nach liebevollen Gesten und orgiastischem Reigen entwickelt sich der Liebesrausch zum Ringen ums Leben. Der männliche Protagonist löst sich auf, und der Figurenspieler entpuppt sich als dämonischer Geist. Der skelettartige, spindeldürre Kerl zelebriert mit bleichem, zur Maske gewordenem Gesicht wild zuckend die Demontage der verbleibenden, weiblichen Puppe. Vom Fieberwahn geschüttelt verliert diese nach und nach an Gestalt. Das Kleid wird, eine Enthäutung evozierend, weggerissen. Ein Arm folgt. Danach quellen, platzen Blut und Gedärme – durch rote Stoffbänder dargestellt – aus dem geschundenen Körper. Die Entleibung abschließend, verliert die Puppe ihre Maske, das Gesicht, und ein Haufen Stoff bleibt am Boden zurück. Währenddessen geht die peitschend treibende Musik in den vertonten Herzstillstand über. Neuerlich kommt Sturm auf. Der Dämon nimmt den Hut, geht.

Manji (Swastika) ist die metaphorische Umschreibung für unterbrochenes Bettgeflüster, weil das Symbol wie zwei abgewandte Menschen aussieht. Die Geschichte von den Liebenden und deren Heimsuchung knüpft an alte japanische Mythen an, wo immer wieder solche Schreckensbilder ins Leben der Menschen hinein brechen, Sterbliche ins Totenreich entführt werden oder sich auch in Geister verlieben. In diesen Vorstellungen erscheint die Schwelle des Lebens nicht als abruptes Ende, sondern ist ein fließender Übergang. Die Seele, oder der Geist, verweilt noch im Hier und Jetzt, die Grenzen zwischen den Welten verwischen. So sind auch in dieser Inszenierung Wirklichkeit und (Alp-)Traum nicht auseinander zu halten. Diese Unentscheidbarkeit nimmt Manji auf. Durch die Vermengung der Dimensionen ist das Stück mehrdeutig, ein Verwirrspiel, in dem zum Beispiel offen bleibt, ob der Geliebte nicht von vornherein ein todbringender Geist ist.

Hier werden keine Antworten gegeben. Das Stück ist opak und eindringlich. Als wortloses Erzählen ist diese Verkündigung vom flüchtigen Glück und plötzlichen Entreißen inszeniert und spricht elementare Erfahrungen an. Solist Okamoto bedient sich im Werkzeugkoffer überlieferter Techniken und moderner Elemente, wie an das Nô-Theater erinnernde Masken und Kostüme, elektronischer Musik und Tanzbewegungen des Butô. Dabei trägt seine Darstellungsweise avantgardistische Züge, wenn Okamoto die wenig durchlässigen japanischen Genres zusammenbringt und sie im eigenen Spiel vermischt. Dass hierbei gerade nicht die großen Gesten hervorstechen, ist sicherlich ungewöhnlich. Vielmehr sind Details die bestimmenden Elemente. Gerade diese sind, sagen wir: realistisch inszeniert, wie zum Beispiel die Formung eines Haarknotens mit nachfolgender Selbstbetrachtung im Handspiegel. Oft brechen rasante Bewegungen schlagartig ab, als ob es eigentlich um die Starre geht. So konfrontiert diese inhaltlich eher schlicht ausgestaltete Geschichte durch ihren unerwarteten Spielfluss mit einer Ästhetik, die unseren Sehgewohnheiten gegen den Strich geht und ihr Spiel mit diesen treibt. Ohne am Exotismus zu rühren, darf wohl behauptet werden, dass das ansehnliche Befremden den Reiz dieser Inszenierung ausmacht.

(Tobias Prüwer)

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