Patriotischer Wahn statt freier Rede: „Shut Up & Sing” (Leonie Roos)

Shut Up & Sing: The Dixie Chicks
Regie: Barbara Kopple & Cecilia Peck
Mit: Martie Maguire, Natalie Maines, Simon Renshaw, Emily Robison u.a.
Dokumentation
USA 2006 – 93 min.
Kinostart: 9. August 2007
www.shutupandsingmovie.com
Ist meine Freiheit wirklich die Freiheit des Anderen?

Die freie Meinungsäußerung ist etwas, worauf man in den Vereinigten Staaten von Amerika besonders stolz ist. Dass jeder und jede das Recht auf free speech hat, ist schließlich in der Verfassung festgeschrieben. Gerne betonen amerikanische Politiker und Journalisten dies immer wieder aufs Neue, als sei ihr Land das einzige, in dem man für unbedachte Äußerungen gegen die Regierenden nicht auf der Stelle verhaftet wird.

Wie es mit der freien Meinungsäußerung jedes einzelnen jedoch in Wirklichkeit steht, besonders wenn dieser Einzelne eine öffentliche Person ist, damit befasst sich die neue Dokumentation Shut up and sing! – The Dixie Chicks der amerikanischen Regisseurinnen Barbara Kopple und Cecilia Peck. Die Dixie Chicks sind eine der populärsten Countrybands der Welt, sie haben in ihrer bisherigen Laufbahn dreizehn Grammys gewonnen und mehr Platten verkauft als jede andere Frauenband. Auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn erhielten sie die höchste Ehre, die einem amerikanischen Musiker zuteil werden kann: Im Januar 2003 sangen die Dixie Chicks beim Superbowl, dem größten Ereignis des amerikanischen Sportjahres, innig und entrückt die Nationalhymne.

Wenige Monate später, zehn Tage vor dem Beginn des Irakkriegs, gaben die Dixie Chicks ein Konzert in London. Nur kurz zuvor hatten Hunderttausende gegen den drohenden Krieg demonstriert. Die Stimmung war aufgeheizt, man wollte zeigen auf welcher Seite man stand. Sängerin Natalie Maines rief „We’re ashamed that the President of the United States is from Texas“ in die Menge und in die anwesenden Kameras. Gejohle und Zustimmung aus dem Publikum hätte eigentlich die einzige Reaktion auf diesen Spruch sein sollen. Stattdessen wurde der Satz, vom Guardian gedruckt, von amerikanischen Medien aufgegriffen zum Stein des Anstoßes. Tausende Fans waren zutiefst aufgebracht über die Absage dem Präsidenten und seiner Politik gegenüber. Ein Boykott der Dixie Chicks wurde von ultra-konservativen Internetseiten gesteuert und angeheizt.

Der Sponsor Lipton Ice Tea sprang ab, die Plattenfirma bemängelte niedrigere Verkaufszahlen, auf keinem der mächtigen Country-Radiosender in den USA liefen die Dixie Chicks noch. Das amerikanische Rote Kreuz weigerte sich, eine Spende von einer Million Dollar anzunehmen. Man fühlte sich erinnerte an das Jahr 1966, als John Lennon in einem Interview unbedacht witzelte, die Beatles seien „berühmter als Jesus Christus“. Damals ging ebenfalls ein Aufschrei der Entrüstung durch den amerikanischen Mittleren Westen. Diesmal war aber nicht das Christentum under attack, sondern etwas, das in den amerikanischen Kreisen, die Countrymusik schätzen und kaufen, genauso heilig ist: der Nationalstolz.

Interessant ist an der Dokumentation die Zeitreise, auf die der Zuschauer mitgenommen wird, in die Monate vor dem Beginn des Irakkriegs 2003, als Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen noch existierten, als der Kongress fast geschlossen für den Krieg stimmte und Präsident George W. Bush in der Beliebtheitsskala bei seinem eigenen Volk noch hoch oben stand. Inzwischen hat sich der Irakkrieg, die „Mess o‘ Potamia“, wie ihn die populäre Satiresendung The Daily Show höhnisch nennt, zu einem Sumpf entwickelt, aus dem die USA und ihre Verbündeten nicht mehr herauszukommen drohen. Seit dem Einmarsch der Koalition sind zwischen 3000 und 4000 amerikanische Soldaten getötet worden, von den irakischen Opfern gar nicht zu reden. Die angeblichen „Beweise“ für irakische Massenvernichtungswaffen sind als Lügen enttarnt, die halbe Regierungsmannschaft wurde seitdem teils freiwillig, teils unfreiwillig ausgetauscht und George Bushs Sympathiewerte dümpeln irgendwo in den unteren 30 Prozent. So unbeliebt war kaum je ein amerikanischer Präsident im eigenen Land. Der amerikanische Durchschnittsbürger ist verwirrt wir nie zuvor. War Saddam Hussein nun an den Anschlägen des 11. September beteiligt oder nicht? Hatte er Verbindungen zu Al Quaida? Was sind Sunniten, was Schiiten? Warum ist das überhaupt wichtig? Und was hat der Iran mit der ganzen Sache zu tun? Müssten die US denn nicht dort auch einmarschieren? Und was heißt eigentlich „free speech“? Muss ich es dulden, dass Leute Dinge öffentlich sagen, die ich nicht mag und die meinen Standpunkt angreifen? Sollten die Dixie Chicks nicht besser den Mund halten und singen? – Shut up and sing!

Der Film zeigt insofern eine spezifisch amerikanische Befindlichkeit, als dass jegliche Kritik an Regierung und oberstem Befehlshaber (dem Präsidenten) als Beleidigung gegenüber der Armee verstanden, gründlich abgeschmettert und leider häufig ganz unterbunden wird. In einem Krieg habe das Volk geschlossen hinter der Regierung zu stehen, alles andere sei unpatriotisch, wenn es nicht gar einem Verrat gleichkomme, lautet die offizielle Linie vieler konservativer Politiker und Medien seit ein paar Jahren. Support our Troops! – ist das Schlagwort. Und das tut auf gar keinen Fall, wer dem Präsidenten kritisch gegenüber steht oder seine Entscheidungen gar anzweifelt. Diese grundsätzliche Einstellung und die Tatsache, dass die US-Bevölkerung in den vergangenen sieben Jahren von ihrer Regierung nicht viel mehr bekommen hat als absichtliche Desinformation durch sorgfältig inszenierte PR-Aktionen, dürfte der Grund sein, aus dem der Band derartig viel Wut, Hass und offene Ablehnung entgegenschlug.

Das bleibt denn auch das Faszinierende an der Dokumentation: Für Europäer befremdliche Bilder von aufgebrachten Talkshowmoderatoren, die finden dass die schönen Chicks geohrfeigt gehören, und erbosten Farmern aus dem Mittleren Westen, die der Ehre ihres Präsidenten wegen ihre Lieblings-CDs mit dem Traktor überfahren. Ansonsten bietet der Film viele Studioszenen, Konzertaufnahmen und Interviews – das alles dürfte aber wohl nur eingefleischte Fans interessieren. Als Zeugnis eines patriotischen Wahns, eines undurchdringlichen Nationalismus, der kein Wort der Kritik zulässt ohne es als Verrat zu diffamieren, ist die Dokumentation jedoch dennoch sehr sehenswert.(Leonie Roos)

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