Objekttheater zum Anbeißen: „Sugar” (Tobias Prüwer)

Sugar
Lindenfels Westflügel
Spiel & Ausstattung: Franziska Merkel
Regie: Werner Knoedgen
Premiere: 23. August 2007
www.westfluegel.de


Alice im Plunderland: Sugar ist Objekttheater zum Anbeißen

…da sind die Häuser gedeckt mit Fladen, mit Lebkuchen Tür und Fensterladen…
Hans Sachs: Schlaraffenland

„Mit dem Essen spielt man nicht!“ – Weiß der Volksmund. An dieses Gebot hält sich Sugar ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Das Objekttheater mit Naschwerk besteht aus nichts anderem und widmet sich alleinig den süßen Gaumenfreuden.

Zu Beginn ist die Bühne mit einem bonbonfarbenen Flickenteppich abgehängt. Die aneinander gereihten Rechtecke zeigen knalliges Kolorit – gelb, grün, rosa und babyblau. Vor dieser Pfefferkuchenhausfassade steht ein Tischchen mit Süßwaren darauf. Diese sind rasch verputzt: Aus einem kleinem Fenster im Vorhang angelt ein Arm flink nach den Köstlichkeiten. Dann erscheint die Spielerin (Franziska Merkel), gleichermaßen in wenig dezentem Pink und Weiß, späht genussfreudig durch den Raum und macht sich schließlich über die Kulisse her. Im Publikum erzeugt dies kurze Irritationen, bis der Groschen fällt: Die getäfelte, plastikartige Fläche besteht aus Esspapier! Mit Mund und Händen bahnt sich nun die Kulissenverspeiserin wild mampfend ihren Weg durch die Dekoration. Sie bricht hier ab, knabbert dort und greift gar zur elektrischen Heckenschere, um sich mundgerechte Stücke zu portionieren. Fortschreitende köstliche Zerstörung und destruktiver Heißhunger legen den Blick auf den Bühnenraum frei, auf ein Arsenal diverser Süßigkeiten und geben Aussicht auf ein kleines Schlaraffenland, das es zu erkunden gilt. Merkel zögert keine Sekunde und stürzt sich ins Abenteuer. Sie zwängt sich in einen Vogelkäfig, um dessen Gummitierbewohner zu verspeisen, bezwingt einen Popcornvulkan, dem sie zusätzlich ein Paar Dauerlutscher abringt, und durchquert als Aeronautin im schwerelosen Tanz ein Zuckerwattevakuum. Als ein bunt blinkendes Weihnachtsrentier Bonbons verteilend durch das Bild zieht, macht sie sich auf Beutejagd und nimmt anschließend ein laszives Schlagsahnebad. Hernach durchforstet diese Alice im Plunderland einen Zuckertütenwald und kommt zu guter Letzt wieder bei ihrem Pfefferkuchenhaus an, das sich nun en miniature in der Bühnenmitte befindet. Sie klettert mit erstaunlicher Gelenkigkeit hinein und fällt nach getaner Schmausarbeit in den Schlaf der Gerechten. Das Haus hüllen zuckersüße Träume ein, der Kringel schließt sich.

Sugar erzählt keine Geschichte und gibt sich nicht als mit tiefgründiger Symbolik durchtränkte Rätselhaftigkeit. Das Stück ist gerade heraus, ist ein sinnfreudiger Slalom durch einen lukullischen Parcours mit verschiedenen Naschstationen. Das süße Sujet scheint Franziska Merkel offenbar zu liegen, hat sie doch bereits im vergangenen Jahr mit der Installation Zuckermäuse die halbe Treppe im Westflügel farbenfroh garniert. Im originellen Spiel – sie führt nicht nur mit sicherer Hand die Objekte in Richtung ihres Mundes – erschafft sie kleine, absurde und urkomische Szenerien in einer durchkitschten und doch entzückenden Bühnenlandschaft. Mit Liebe zum Detail arrangiert (Regie: Werner Knoedgen) und vielen hübschen Einfällen gespickt schlägt diese Parabel auf die Völlerei wie eine Kalorienbombe in der Zwerchfellgegend ein.

(Tobias Prüwer)

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