Intime Fragmente: „Die Bedrängnisse der Virginia” (Tobias Prüwer)

Die Bedrängnisse der Virginia – Las tribulaciones de Virginia
Im Rahmen von ?ALEGRIA! – Theater aus Spanien vom 28. August bis 9. September 2007
Lindenfels Westflügel
Idee & Spiel: Hnos. Oligor
Premiere: 29. August 2007
www.westfluegel.de


Intime Fragmente: Die Bedrängnisse der Virginia

Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet seyn wie ein Igel.
Friedrich Schlegel: Fragmente

Was haben Elefanten und Schießbudenfiguren, Meerjungfrauen und Murmelbahnen mit dem Zauber der Liebe zu tun? Für Valentino alles. Er bittet in seinen Bastelkeller und beginnt zu erzählen von seiner Verbindung zu Virginia, einer jungen Frau, die sich dem Traum der Ballerina hingibt. Er hängt seinen Erinnerungen nach und berichtet, wie er sie in einem Club kennen lernte, von ihren gemeinsamen Spaziergängen am Strand, vom tragischen Ende und erweckt in seinen kunstvollen Miniaturen eine Sinfonie von Stimmungen.

Die Bedrängnisse der Virginia (Las tribulaciones de Virginia) ist der Auftakt des spanischen Theaterfestivals ?ALEGRIA! im Lindenfels Westflügel. Die Inszenierung der Gebrüder Oligor ist eine Grenzen überschreitende Mischung aus Personen- und Objekttheater. Aus ihrem Hobby, den Neffen illustrierte Geschichten zu erzählen, ist dieses Stück entstanden und hat von der Intimität der Kelleratmosphäre nichts verloren. Für die Aufführung ist im Saal des Westflügels in mehrtägiger Bauzeit eigens ein kleines Theater aufgebaut worden. Wie in einer Arena bildet in diesem der Zuschauerraum ein Halbrund, von dessen zu beengter Bestuhlung das Publikum auf die Manege in der Mitte blickt, in der Valentino sein Spektakel aufführt. Von fragmentarischem Erzählen begleitet, eine Dolmetscherin übersetzt ins Deutsche, werden diese Szenen einer Liebe aufgeführt. Während Valentino gedoppelt als lebendige Person und Puppe zu sehen ist, tritt Virginia nur als Figürchen auf, das auf einem Elefanten reitet, Pirouetten tanzt oder in einem Bötchen schippert. Als erzählerische Mittel kommen Spielzeug und selbst gebaute Apparate zum Einsatz. Die Inszenierung lebt von diesen verspielten Aha-Effekten. Es sausen Figuren durch die Luft oder zappeln seiltanzend in der Höhe, eine kleine Eisenbahn durchfährt den gesamten Raum, Zahnradskulpturen befinden sich in wilden Bewegungen und allerlei Feuerwerk blitzt auf, werden Sternschnuppen simuliert. Am faszinierendsten sind diese kleinen kinetischen Wundermaschinen, eine Art komplexe Kugelbahnen, in deren Mechaniken ein Teil ein anderes anstößt und überraschende Reaktionen auslöst. Diese antiquiert wirkenden Apparaturen, ein in die Jahre gekommenes Kassettenradio ist die modernste, evozieren das Flair vergangener Zeiten. Sie erinnern an Jahrmärkte und deren Budenzauber und lassen einen eigenen Mikrokosmos erstehen, in welchem sich die Poesie des Stückes entfaltet.

Währenddessen wird das Publikum auch direkt bespielt. Valentino verstreut Konfetti, beduftet mit Kölnisch Wasser und verschenkt symbolisch sein Herz. Aus dieser Interaktion erwächst in manchen Momenten eine fast peinliche Stimmung. Und wenn Valentino Fragen in den Raum stellt und erst nach einigen Schrecksekunden jemand im Dunkeln die Stimme zur Antwort erhebt, atmet man auf. Diese Spannung nimmt gen Ende des Stückes zu. Man rätselt, was nun passieren soll, was erwartet wird, ob man den Schluss des Stückes verpasst hat und sich bereits in einem Publikumsgespräch befindet. Doch gerade wenn man denkt, der Bogen sei nun aber langsam überspannt, wird die Ungewissheit mit großem Tamtam verjagt: Baskischer Heavy Metal erklingt aus dem Kassettendeck, Pyros sprühen und Valentino mimt durch eine Pappgitarre unterstützt den Rockstar. Mit ironischem Akzent legt er sein Mosaik vom Zauber und Scheitern der Liebe als vollendet vor des Publikums Füße und hebt das intime Fragment in etwas anderem Magischen auf. ?Esta es una noche de Rock’n’Roll! – Das ist eine Nacht des Rock’n’Roll!

(Tobias Prüwer)

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