Intensiv und vieldeutig: „Der König der Einsamkeit” (Tobias Prüwer)

Der König der Einsamkeit – El rei de la Soledat
Im Rahmen von ?ALEGRIA! – Theater aus Spanien vom 28. August bis 9. September 2007
Lindenfels Westflügel
Playground
Regie & Spiel: Xavier Bobés
Schauspielregie: Eric de Sarria
Musik: Juli? Carboneras
Video: Albert Coma
Bühnenbild: Sandrine Veyry
www.westfluegel.de


Im Zeichen der Vieldeutigkeit: Der König der Einsamkeit

Fortlebt sein Lied im nächtlichen Haus der Schmerzen.
Georg Trakl: An Novalis

Auf manche Stücke muss man sich einfach einlassen können, nicht verkopft starren, sondern aufgeschlossen hinsehen. Der König der Einsamkeit ist ein solches. Im Mix künstlerischer Formen werden hier Stimmungen von Verlassenheit und Absonderung erfahrbar inszeniert.

Am vorderen Bühnenrand ist ein Miniaturwohnzimmer zu sehen. Die darin befindlichen Einrichtungsgegenstände werden entfernt und auf viel kleinerer Fläche neu arrangiert. Aufgrund der Platzknappheit wird das Mobiliar nun übereinander gestapelt und ein absurder Turm aus gewöhnlichen Wohnzimmermöbeln aufgerichtet. In dieser Art Prolog wird die Szenerie des Stückes in Miniatur erst vorgestellt, dann zur Seite geschoben und in der Bühnenmitte erscheint die Konstruktion schließlich in realer Größe. Das Interieur-Ungetüm besteht aus einem Schreibtisch. Daraus erwachsen zwei Schubladencontainer, auf denen ein Esstisch thront. Der Bau ist gespickt mit allerlei mechanischen Geräten, mit Schreibmaschine, Registrierkasse, diversen Telefonen. Alle Objekte wirken vernutzt, verstaubt. Sie entstammen einer vergangenen Zeit und geben dem Aufbau den Anschein einer Abstellkammer.

Dieses skurrile Gebäude, das sich im Halbdunkel auftürmt, ist das Zentrum des Spiels. Es tritt in wechselnden Perspektiven in Erscheinung, wird aus vielen Richtungen angestrahlt und hierdurch wie im Spiel der stetigen Veränderung unterzogen. Die textlose Aufführung wird von Musik und Toneffekten unterstützt: Klappernde Tastengeräusche, weißes Rauschen und Klaviermusik lullen ein oder lösen Beklemmungen aus. Den Beginn machen Büroszenen. Das gerichtete Licht betont den Schreibtischaspekt des Bühnenbildes und der Spieler (Xavier Bobés) simuliert einen Finanzbeamten, Bankangestellten, Bürokraten. Nein, er verkörpert zwei Personen, die sich im Duett manisch ihrer Verwaltungsarbeit hingeben. In ihren Zellen, Karteikästen sitzend, tippen, zählen, kalkulieren sie und fassen sich immer wieder verzweifelt seufzend an den Kopf, während über ihnen symbolisch die herrschaftlich gedeckte Tafel droht. Dann schleicht sich im dunklen Spiel eine glühende Clownsmaske ein, würgt den Spieler. Stoffdinosaurier quellen unter dem Tisch hervor. Schließlich wird die Mobiliarburg auseinander genommen, Schubläden im Vordergrund zu Projektionsflächen arrangiert. Mit Videos bestrahlt wird eine Kiste zum Hort von hastenden Uhren, andere geben Spuren auf Parkett wieder und aus einer alten Tasse rinnt digitaler, kalter Kaffee, später Münzen und Scheine. In anderen hängen vergilbte Fotos in einer anderen werden Hobbyfilme, die von glücklichen Familientagen berichten, gezeigt. Die Möbelkaskade erscheint wie eine bröckelnde Hausfassade, deren Bewohner in den Schubladen hausen, als zu enge Einfriedung vergangenen Glanzes, Sammelort für verblassende Erinnerungen. Stumme Mahnungen stehen hier im Raum: tempus fugit – memento mori. Bis das ganze Ensemble in Dunkel und Stille verschwindet, ein Nichts den Saal erfüllt und nach einigen innehaltenden Augenblicken das Publikum in Applaus ausbricht.

Der König der Einsamkeit ist eine experimentelle Reise durch eine befremdende und öde Welt. Die Katalonier Playground suchen dabei nach der Kombination verschiedener Medien und entwerfen das Stück als Kreuzungspunkt diverser Kunstformen. Als faszinierendes wie verwirrendes Spiel mit ausrangierten Objekten, wird die Inszenierung von einer Intensität und Eindringlichkeit getragen, die Erfahrungen von Vereinzelung und Isolation fühlbar werden lassen.

(Tobias Prüwer)

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