Überragendes Gesamterlebnis: „phaedra” an der Berliner Lindenoper (Steffen Kühn)

Hans Werner Henze: phaedra
Konzertoper in zwei Akten
Staatsoper unter den Linden
Text: Christian Lehnert
Dirigent: Michael Boder
Inszenierung: Peter Mussbach
Dramaturgie: Jens Schroth
Ensemble Modern
9. September 2007
www.staatsoper-berlin.de


Hans Werner Henzes sinnliche Oper phaedra an der Lindenoper

Salzburg, Hamburg, Berlin: Hans Werner Henze (*1926) ist an allen bedeutenden Operhäusern präsent. Es gab wenige deutsche Komponisten, die sich noch zu Lebzeiten an solch einer konzentrierten Aufmerksamkeit des Publikums erfreuen konnten, vielleicht (und hoffentlich) liegt es ja daran, dass sich Hans Werner Henze sehr früh den Imperativen der Neuen Musik Mitte des letzten Jahrhunderts verweigert hat. Sein Schaffen, an eigenen Erfahrungen orientiert, sucht stets den Dialog. Das Werk ist keiner Schule verpflichtet, entwickelt und verändert sich, wie unsere sich kontinuierlich veränderte Wahrnehmung der Umwelt. Seit 1953 lebt Hans Werner Henze in Forio D´Ischia in Italien. Seine weit mehr als 200 Kompositionen sind zum großen Teil dort entstanden. Über den Schaffensprozess von phaedra berichtet er: „Ich sitze da an einem bestimmten Platz im Schatten, und habe vor mir in der Luft fünf Telegrafendrähte, (?), und immer mehr ist mir auf- und eingefallen, dass sie ja ein Pentagramm bilden und immer mehr habe ich ein Es gesehen, ein F, ein Cis, (..) und habe Themen gebildet für phaedra.“ Eine bezaubernde Vorstellung, wie Hans Werner Henze die Musik gleichsam aus dem Äther empfängt. Außerdem muss man wissen, dass sich der Handlungsort im zweiten Akt von phaedra, die Residenz der Jagdgöttin Artemis, am Strand des Nemi-Sees nicht unweit von seinem Wohnsitz entfernt befindet.

Zum Plot.
Auf Theseus, der gerade den Minotauros besiegt hat, warten „Komplikationen“. Seine Frau Phaedra begehrt seinen Sohn, den leidenschaftlichen Jäger Hippolyt. Der ist von den Gefühlen seiner Stiefmutter entsetzt und stößt sie brüsk zurück. Damit sind die menschlichen Partien des Stückes schon vollständig, wobei Theseus nicht selbst auftritt. Die beiden auftretenden menschlichen Protagonisten haben jeweils einen göttlicher Widerpart: Phaedra die Göttin der Liebe – Aphrodite und Hippolyt die Göttin der Jagd – Artemis. Phaedra und Hippolyt tragen ihren Konflikt nur stellvertretend für die beiden Göttinnen aus, wobei der Jäger Hippolyt der bis zum Ende Gejagte ist. Phaedra bezichtigt ihn aus Rache bei seinen Vater der Vergewaltigung, welcher ihm eiligst den wiederauferstandnen Minotauros auf den Hals hetzt. Artemis holt sich nach Hippolyts seinen Leichnam zum Nemi-See, setzt ihn wieder zusammen, zu einem neuen Wesen mit Namen Virbius. Ohne Erinnerung irrt Virbius umher, verfolgt wieder von Phaedra, die ihrerseits nach Selbstmord aus der Unterwelt zurückgekommen ist.

Wie inszeniert man eine Konzertoper?
Hans Werner Henzes Lust an dramatischer Steigerung und neuen Konstellationen ist für ein Alterswerk verblüffend. Keine ermüdende Selbstreflexion, keine Neigung zu Bilanz oder Vermächtnis, er stellt im Gegenteil mit dem Novum Konzertoper das Uraufführungsteam vor eine ernsthafte Herausforderung. Die szenischen Passagen von den rein musikalischen zu trennen ist explizit auch der Ansatz des Librettos: „Personen: In Abendkleidung. Bei szenischen Auftritten tragen sie der dramatischen Situation entsprechende Kostüme.“ Soweit geht die Inszenierung dann nicht, die Darsteller tragen enganliegende schwarze Kostüme, sind androgyne, austauschbare Gestalten. Das Raumkonzept von Olafur Eliasson lässt sich dagegen mit Verve auf die Herausforderung ein, ja nimmt sie zum Anlass die Lindenoper auf den Kopf zu stellen. Das Orchester befindet sich hinter dem Parkett, über einen schmalen Steg mitten durch das Parkett ist dieser Teil des Raumes mit der Bühne verbunden. Die Sängerinnen und Sänger bewegen sich zwischen den Polen – Oper und Konzert – hin und her. Großes Erstaunen im Publikum, als hinter dem Vorhang eine riesige verspiegelte Folie das rückwärtige Orchester dann doch ins Zentrum rückt. Eine raffiniert gesteuerte Lichtführung realisiert später eine Semitransparenz der Spiegelfolie, wenn die Sänger hinter einer Tür im eigentlichen Bühnenraum verschwinden. Dieser abstrakte aber sehr ruhige Umgang mit den Räumen macht den Abend zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art, gerade auch durch die thematische Verknüpfung der verschieden Textwelten – menschliche, göttliche und Unterwelt mit den sich verändernden Raumwahrnehmungen.

Zur Musik.
Von den 23 Musikern sind nur vier Streicher, die zwei Schlagzeuger haben 28 Instrumente zu bearbeiten. Die fünfzehn Bläser, sie auch jeweils mit mehreren Instrumenten besetzt, dominieren den Klang des Stückes. Die ausgesprochen vitale Musik ist sehr narrativ, zum Teil sinnlich, über weite Strecken aber sehr hart, ja spröde. Das Stück beginnt mit irisierenden Passagen der Bläser, das Klavier gibt Rückhalt und Substanz. Die zum Teil sehr schrill ausgetragenen Dialoge der Phaedra und des Hippolyt werden durch das Blech noch kräftig übermalt. Die oszillierenden Linien der Partitur finden sich in einem riesigen, über dem Parkett drehenden Ring, der sich verändernde Lichtspuren durch den Raum zeichnet. Eine sinfonische Dichte erreicht die Musik in der Entrüstung der Phaedra über den Korb, den ihr Hippolyt gegeben hat. Artemis´ Bericht über die Reaktion von Theseus auf die Bezichtigung Hippolyts wird begleitet von bedrohlichen Fauchen und Vibrieren, am Ende knarzen die Wagnertuben. Im zweiten Akt dramatisiert sich die Klangwelt weiter. Mit den eingespielten Geräuschen – Zikadengezirp, Alarmglocken, Gewitter etc. – entsteht ein galaktisches Nebenher von Realität und fiktiver Theaterwelt.

Das Ensemble Modern wird präzise geführt von Michael Boder, sehr leidenschaftlich begegnen die Musiker den sinnlichen Ansätzen der Musik. Die glänzende Mezzosopranistin Maria Riccarda Wesseling, quasi zum Anfassen, wenn man im Parkett sitzt, ist eine Idealbesetzung für die rückhaltlos liebende Phaedra. Das Objekt ihrer Begierde ist der perfekt singende John Mark Ainsley. Auch die übrigen Sänger bewältigen ihre Partien makellos. Die Inszenierung im Bereich der Kostüme und der Choreografie wirken dagegen doch insgesamt sehr emotionslos verspielt durch den bewussten Verzicht auf Details der Setzungen der Mythologie. Leider geht dadurch gerade im zweiten Teil die Lesbarkeit der Geschichte verloren. Am Ende bleibt ein überragendes Gesamterlebnis der funkelnden Musik und der subtilen Raumkonstellationen von Olafur Eliasson.

(Steffen Kühn)

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