Spiel mir das Lied „Eine der schönsten deutschen Kleinstädte“

Altenburg * Provinz in Europa: Warum es woanders nicht wirklich anders ist

„Lieben sie Altenburg?“ war eine der Fragen, die im Vorfeld der Ausstellung in der Stadt gestellt wurden. „Naja, nicht so richtig. Aber wir sind hier groß geworden,“ antwortete ein 71jähriger und hat damit umrissen, was sonst aus unerfindlichen Gründen nicht thematisiert wurde: Was Provinz ganz wesentlich von einer wie auch immer als Nicht-Provinz empfundenen Gegend unterscheidet, ist die mangelnde Wahlfreiheit. In die „Provinz“ zieht man nicht, man wird hineingeboren, versetzt oder hinverschlagen. Von daher wohl auch der fahle Beigeschmack des Wortes Provinz: Sie ist nur dort, wo man nicht sein will, aber irgendwie nicht anders kann. Nicht zuletzt auch, weil es anderswo nicht wirklich anders ist. Und darum wiederum kümmert sich die Ausstellung.

„Glokalisierung“, ein Wort, das beschreiben soll, dass auf der ganzen Welt ähnliche Prozesse vor einer anderen Kulisse ablaufen, dient daher auch ein Aufhänger des Programms. Die Provinz wird nicht als von der Weltgeschichte entkoppelt betrachtet, sondern als Raum im Kontext oder eben Ort unter anderen, wo sich im Kleinen das Große gleichermaßen einschreibt.

Das darzustellen, gelingt nicht immer ohne gewagte Konstruktionen oder gar Verdrehungen der Geschichte. Letztere sind freilich weniger in der gewissenhaft kuratierten Ausstellung zu finden denn in den Sonntagsreden zur Eröffnung. So äußerte der Thüringer Kultusminister Jens Goebel seine Gedanken zum Thema nach dem Motto „Krieg und Brandschatzungen gab es immer“, die aktuelle Krisensituation in Ostthüringen ist nur halb so wild und alles wird schon wieder gut – wäre ja gelacht wenn nicht. Hoho! Optimismus soll verbreitet werden, Identifikation geschaffen, Initiative angeregt – in unermüdlicher Redundanz beschwören Oberbürgermeister, Vizelandrätin und Minister die Zukunft in rosigen Tönen. Eine beeindruckende Performance des Begriffs Glokalisierung, wenn man nicht wüsste, dass die nicht enden wollende Rednerliste nicht zum Kunstprogramm gehört.

Natürlich gehört zur Provinz auch die Posse. Die zur Ausstellung gehörige Installation Räume der Freiheit von Ivan Kafka im Schlosspark wurde nicht behördlich genehmigt und gilt somit ganz unbeabsichtigt, aber offiziell als „Ordnungswidrigkeit“. Wie doppelbödig! Möglicherweise sogar auch Teil der Inszenierung? Aber was ist jenseits der Rahmenhandlung mit der Ausstellung selbst, der größten und teuersten des Lindenau-Museums und auch überregional als großmaßstäblich einzustufen?

Die Mischung ist interessant, denn künstlerische Formen mischen sich mit der Präsentation von historischen Prozessen, sozialen und politischen Entwicklungen und eben den örtlichen, „provinziellen“ Gegebenheiten. Von Raum zu Raum verlagert sich immer wieder aufs Neue der Schwerpunkt zwischen Dokumentation und künstlerischer Formfindung, zwischen Abstraktion, Ästhetisierung und nackter Konkretheit. Man wird keineswegs von einer Überfülle erschlagen, sondern eher zum Stöbern in der Provinz aufgefordert. Und nicht zuletzt, nach dem Verlassen des Museums das Bild, welches die Ausstellung von Altenburg zeichnet, mit der Stadt selbst zu vergleichen. Im Grunde handelt es sich um eine überdimensionale Einladung zu einem Ausflug. Anzunehmen wird empfohlen.

Altenburg * Provinz in Europa
Lindenau-Museum Altenburg
23. September 2007 bis 20. Januar 2008
www.altenburg-provinz-in-europa.de
Bilder:
Ivan Kafka: Räume der Freiheit
Annett Grîscher & Arwed Messmer: Verlorene Wege
Dan Perjovschi: O.T. (Ausschnitt)

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