Moleküle und Atome: Ein resümierendes Gespräch zum „Fahrgastraum” (Torben Ibs & René Seyfahrt)

Rainbow Waterdrops & Shanghai 49
Fahrgastraum
Theater der Jungen Welt
ChoreographInnen und TänzerInnen des Leipziger Tanztheaters
3. bis 7. Oktober 2007
www.leipzigertanztheater.de


Moleküle und Atome – Ein Gespräch

R: Du warst gestern bei Rainbow Waterdrops (Bild 1) und Shanghai 49 (Bild 2) im Theater der Jungen Welt? War der Saal genauso ausverkauft wie bei der Premiere?

T: Der Saal war rappelvoll. Die Leute saßen sogar auf den Treppen und es war kein Durchkommen. Aber es hat sie ja auch gelohnt, da es zwei wirklich tolle und auch sehr unterschiedliche Stücke waren, die das LTT da auf die Beine gestellt hat.

R: Ich war ja sehr erstaunt über die unglaubliche Leistung der semiprofessionellen TänzerInnen. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man von einer professionellen Kompanie ausgehen. Das ist wohl nicht zuletzt Verdienst des Choreographen beziehungsweise der Choreographin. Bei Rainbow Waterdrops wurde schließlich das gesamte Spektrum von klassischen Ballettbildern bis zum wüsten Spaß durchgespielt. Beim Einmarsch der Gladiatoren habe ich gequiekt vor Freude!

T: Zehn Tänzerinnen in leichten Tüll-Kostümen und darin auf einmal drei Bodybuilder. Das war schon stark. Insgesamt beeindruckte ja Rainbow Waterdrops durch die starken, klar aufgebauten Bilder. Zum Beispiel, als von der Seite die vier Tänzerinnen mit den roten Bändern auf die Bühne kommen und mit diesen quer über die Bühne spielen, wird das sehr kräftig, aber doch auch sehr schön gebaut – als Tableau sozusagen.

R: Ich habe dann auch noch zwei Stücke vom gleichen Choreografen, Norman Douglas, gesehen. In Touching tongues hat er selbst getanzt und ich sage dir: eine Neurose auf Beinen, der Herr hat ein Gespür für Bilder in Bewegung. Shanghai 49 fand ich dagegen vor allem deswegen so gut, weil eine Idee – das Drängeln – über ein ganzes Tanzstück durchprobiert wurde. Ich als Abstandhalter fühlte mich von dem Stoff natürlich sehr angesprochen.

T: Das ganze hatte für mich aber auch ein viel stärkeres Moment der Kommunikation und von Räumlichkeit. Ständig zogen sich da Machtlinien durch den Raum. Machtlinien eines Individuums, das aus der Masse, dem Gedrängel ausbricht. Das ganze wirkte schon ein wenig wie eine politische Allegorie auf das moderne China und das dortige urbane Leben, das zwischen dem asiatischen Massenleben und gleichzeitig dem stärker werdenden westlich geprägten Individualismus oszilliert – und damit auch Gewalt hervorbringt. Das Shanghai-Thema sozusagen, während ich mir auf die Wassertropfen inhaltlich eher nicht so den Reim machen konnte.

R: Reim dir oder ick fress dir? Also man kann ein Stück auch nach Sezchuan benennen und es hat trotzdem gar nichts mit China zu tun – es sei denn, man will den Chinabezug unbedingt haben, weil es ja so „aktuell“ ist.

T: Aber auch gute Menschen dienen ja durchaus als Parabel für die Wirklichkeit. Heutzutage sind Shanghai, Berlin oder New York wahrscheinlich nur nicht weit genug voneinander entfernt, um mit folkloristischen Schmankerln die Herkunft zu bedeuten. Urbanität ist halt universal – aber das überall. Warum also nicht China? Aber das ist ja eigentlich nicht der Punkt. Wichtig fand ich den Unterschied zwischen den Stücken: sehr schön gebautes Bildertheater gegen ein Raumtheater, das vor allen Dingen mit Spannungen arbeitet und Kommunikation zwischen den Tänzern einfordert. Denn die Tänzerinnen in Rainbow Waterdrops waren doch eher atomisch schön und das einzig Gemeinsame entsprang der Synchronität von Bewegungen.

R: Das mit der atomischen Schönheit muss ich mir merken, denn von Zeit zu Zeit verlassen sich Kompanien doch etwas zu sehr allein auf den Ensembleglanz von synchronen Bewegungen. Allerdings war dies nach meiner Meinung auch bei Rainbow Waterdrops nicht der Fall, denn sich synchron umkreisende Atome bilden schließlich Moleküle und die Bilder, die entstanden, waren zwar weniger raumgreifend als bei Shanghai 49, dafür aber trotzdem in sich stimmig und geschlossen. Haben wir also ein nukleares und ein molekulares Stück gesehen? Übrigens, bei Stückwerk Kabine I hat sich Laura Döhler unter dem Titel Unknown mit dem Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Synchronität auseinandergesetzt. Neben dem bereits erwähnten Beitrag von Norman Douglas zur Stückwerk-Reihe war das ein absoluter Höhepunkt unter den kleinen Happen.

T: Molekular finde ich gut. Das hat so etwas von Skulptur, etwas Zusammengesetztes und das war natürlich bei Douglas‘ Rainbow Waterdrops sehr klar und gelungen. Überhaupt die ganze Ensemblearbeit in beiden Stücken.

R: Soll das das Schlusswort zur Güte sein?

T: Wegen mir ist das fein.

(Torben Ibs & René Seyfarth)


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