Streitbar: Sebastian Hartmann inszeniert „Romeo und Julia” an der Wiener Burg (Steffen Kühn)

William Shakespeare: Romeo und Julia
Deutsch von Thomas Brasch
Burgtheater Wien
Regie: Sebastian Hartmann
Dramaturgie: Judith Gerstenberg
Bühne: Jürgen Bäckmann
Mit: Mareike Seidl, Julia Hartmann, Sven Dolinski u.a.
9. Oktober 2007


Streitbar: Sebastian Hartmann, designierter Intendant des Leipziger Schauspiels, inszeniert Romeo und Julia an der Wiener Burg

„Sebastian Hartmann versaublödelt Romeo und Julia am Wiener Burgtheater“ urteilte der Kritiker der Süddeutschen Zeitung gnadenlos über die Premiere. In einer fast diffamierend zu nennenden Weise spricht er dem Regisseur das Recht ab, in der „ersten Bühne des deutschen Sprachraumes“, so das Burgtheater gern über sich selbst, Shakespeare zu inszenieren. Sebastian Hartmann muss sich bewusst gewesen sein, dass seine Arbeit in Wien als designierter Intendant des Leipziger Schauspiels und auch überhaupt, weil’s die Burg ist, sehr genau beobachtet wird. Er hat sich davon nicht beeindrucken lassen und eine lebendige und streitbare Interpretation des Klassikers abgeliefert.

Der Übersetzer Thomas Brasch hat Shakespeares‘ Original entschlackt, schnörkellos ist die Geschichte der Capulets und der Montagues. Der Stoff wird aus einer dem Alter der Liebenden, Julia kurz vor ihrem vierzehnten Geburtstag, gerechten Perspektive erzählt. Brasch und Hartmann, beide in der DDR sozialisiert, werden den die Jugend prägenden Film Sieben Sommersprossen noch gut erinnern: In einem Jugendlager wird als Kulturprogramm Romeo und Julia einstudiert, die beiden Hauptdarsteller verlieben sich und geraten schnell an die Grenzen staatlich erlaubter Konventionen. Der Film sympathisiert mit den Liebenden, fokussiert die Wünsche und Sehnsüchte Pubertierender. So funktioniert auch die Inszenierung. Die Familienfehde tritt in den Hintergrund, slapstickartig die Familienmitglieder, hier freilich überzieht Hartmann, wenn er beispielsweise den alten Capulet fortwährend als tattrigen Greis vorführt. Sven Dolinski und Julia Hartmann als Romeo und Julia spielen den ganzen Wahnsinn, welchen dieses Alter bereithält. Zwischen Schwüren bis zum Tod und nagenden Selbstzweifeln hin und her gerissen, stemmen sie sich gegen ihre feindliche Umwelt. Rasend vor Glück, schreiend vor Verzweiflung: Rennend und tanzend wird die Bühne durchmessen, Licht und Musik dramatisieren die Gefühle. Mit hoher Geschwindigkeit vergehen die ersten anderthalb Stunden der Inszenierung wie im Flug. Die Bühne selbst ist leider etwas schwierig, weil zuviel: Rundhorizont mit Wolken und Blitzen, dann die dekorative Einsiedelei von Bruder Lorenzo, aus dem Boden schraubt sich ab und an ein überdimensionales Möbel – das Haus der Capulets. Die Renaissancekostüme als historische Perspektive funktionieren formal, überzeugen können sie nicht.

Dann der zweite Teil: Julia durch den Trunk Lorenzos scheintot in der Gruft der Capulets, Romeo halbnackt, viel Theaterblut, folgt seiner Geliebten in den Tod. Warum er sich dabei an einer Wassermelone vergreift versteht man nicht, ebenso wenig wie die anschließende an Hermann Nitsch erinnernde Orgie aus nackten blutverschmierten Männern. Warum müssen dem bis dahin kommentierenden Geist dann auch noch überdimensionale Flügel wachsen? Im ersten Teil überzeugend, verliert die Inszenierung zum Ende stark, verliert sich in Details und Späßchen und leitet damit Wasser auf die Mühlen der Großkritiker, die ja schon immer gewusst haben wie man Shakespeare inszeniert. Schade, weil der Ansatz, das bekannte Jugenddrama, mit hohem Drive aus der Sicht der „Betroffenen“ zu erzählen sehr spannend ist.

(Steffen Kühn)

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