Analysierendes Unbehagen im Thomasius-Club

Ulrich Bröckling über „Das unternehmerische Selbst“

Ulrich Bröckling im Horns Erben

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Ob Die Kunst der Höchstleistung, Der Neugier-Erfolgs-Loop oder Mach Dich effektiver, Anleitungen zum Glücklichsein, zu Erfolg und persönlichem Mehrwert lungern marktschreierisch in den Bestsellerecken jeder Bahnhofsbuchhandlung. Und auch die Politik stößt ins selbe Horn, fordert auf zum Arbeitnehmerdasein als „Selbstmanager“. Derlei Zumutungen sieht sich nicht jeder Mensch gern ausgesetzt. Ulrich Bröckling, Professor für Ethik, Politik und Rhetorik in Leipzig, hat sein Unbehagen in eine Buchform gegossen und stand über diese im Thomasius-Club Rede und Antwort.Das unternehmerische Selbst sei der kategorische Imperativ der Gegenwart, erläuterte der Autor im Gespräch mit den Moderierenden Claudia Albert und Ulrich Johannes Schneider. Die Literaturwissenschaftlerin und der Philosoph bekundeten gleich zu Beginn beiderseits ihre Begeisterung für das Buch, was die Grundlinien der Diskussion vorzeichnete. Keine Fundamentalkritik stand auf dem Programm, sondern ein wohlwollend pointierter Austausch von Argumenten und Erfahrungen. Das gestaltete sich allerdings in keiner Weise als kleinmütiges Abnicken oder konsensualer Stillstand. Die Runde hob vielmehr an zum inspirierenden und charmanten Polylog, zu einer feinsinnigen Unterhaltung, an welcher alle drei gleichermaßen Anteil hatten und einen intellektuell reizvollen Abend jenseits akademischen Gestus‘ gestalteten.

Zum Auftakt möchte Albert wissen, warum sich Bröckling in seiner Analyse denn ausgerechnet der Textsorte Lebenshilfe und Erfolgsratgeber mit dem Stichwort „Selbstmanagement“ gewidmet habe. Der Autor antwortete, dass sei einerseits biographisch motiviert. Er war früher als Lektor in einem Verlag für soziale Arbeit tätig und sah sich mit einem Mal einer Schwemme von fürchterlichen Manuskripten zu eben diesem Thema ausgesetzt. Man könne das eine „Managementisierung“ nennen, denn plötzlich war überall von den Menschen betreffenden Evaluationen, Qualitätscontrolling und anderen Worten aus dem Business-Sprech die Rede. Das erschien Bröckling symptomatisch, denn solche Vorstellungen über das unternehmerische Selbst tauchten auch in ökonomischen Schriften und politischen Forderungen auf. Das war der zweite Anlass seiner Studie: der politisch-kritische Einsatz. Im Buch konstatiert Bröckling eine Verschiebung im begrifflichen Koordinatensystem und folgt der Frage, wie Kritik aussehen kann, wenn sich die Begriffe ändern. Denn mit einem Male wechselten die Schlüsselkonzepte emanzipatorischer Kritik die Seiten, tauchten in neuen Bezugnahmen auf. „Autonomie“ und „Selbstbestimmung“ waren nun Bestimmungen für den flexibel, mobil und ungebunden sein sollenden Menschen, der auf Abruf bereit steht, an jedem Ort der Welt einen Job auf Zeit anzunehmen, der als „Ich-AG“ im Modus des „lebenslangen Lernens“ begierig neue Datensätze als „Qualifizierungsmaßnahme“ schluckt und sich in der Selbstvermarktung übt. Jeder Mensch hat ein Unternehmer seiner Selbst zu sein, lautet dieses an uns herangetragene Sollen, das vielerorts auf uns hereinprasselt.

Auf die Kritik, dass kein lebender Mensch vollständig solch ein unternehmerisches Selbst sein könne, antwortet Bröckling, diese Unmöglichkeit sei in dieser Form der Subjektivierung gleich mit angelegt, was besonders perfide sei: Indem die Unerreichbarkeit im Ideal verankert ist, bleibt trotz aller Anstrengungen immer ein unzufriedenes Subjekt zurück, das hierdurch noch mehr zum Entrepreneur-Sein in eigener Sache angetrieben wird. Das unternehmerische Selbst ist auf die innere Zerrissenheit hin angelegt. Wir sollen also werden, was wir gar nicht ganz werden können. Deshalb habe sich in diesen unternehmerischen Imperativen bereits ein rhetorischer Dreh vollzogen: Auch das Scheitern wird noch ins Konzept des Selbstmanagements aufgenommen, auch dieses noch müsse gewissermaßen erfolgreich geschehen.

Ob es denn die geschilderte Totalität dieser Anrufungen in der Wirklichkeit so gebe, wird daraufhin gefragt, und warum man sich ihrem Sog nicht einfach entziehen könne. Zum Beispiel, indem man den Fernseher ausgeschaltet lässt oder sich lyrischen Gefilden zuwendet. Sicherlich sei das möglich, erwiderte Bröckling, aber man müsse es sich halt erlauben können. Es bedürfe schon einer größeren Planke, auf der man sitzt, vielleicht gar mit Außenbordmotor, um den reißerischen Untiefen dieses Sogs zu entkommen. In diesem Punkt hätte er etwas deutlicher werden können und zum Illustrieren seiner These beispielsweise auf das ALG II verweisen können, dessen EmpfängerInnen diesem Imperativ des unternehmerischen Selbst ständig ausgesetzt sind und kaum Chancen der Flucht besitzen.

Beide Moderierenden machten im Buch eine gewisse Traurigkeit aus, einen resignativen Subtext. Bröckling war sich nicht sicher, ob er dem zustimmen solle. Allerdings gab er zu, mit Antonio Gramsci einen „Pessimismus der Theorie“ und den „Optimismus der Tat“ zu vertreten. In der Hoffnung, trotz aller Anzeichen falsch zu liegen, formuliere sich so die Analyse als eine Art „self-destroying prophecy“. Die Eindeutigkeit der Kritik existiere gegenwärtig nicht, ein monolithisches Richtig und Falsch sei nicht klar auszumachen. Denn heutzutage wird permanent perpetuiert, von der Norm abzuweichen, um sich im unternehmerischen Wettbewerb attraktiv zu präsentieren. Unter solchen Umständen laute das Motto „anders anders sein“, nämlich different zum sich jeweilig gerierenden marktförmigen Anderssein. Wie sich das im Einzelnen gestalten soll, lasse sich nicht so einfach beantworten. Es gehe hier um ein taktisches Manövrieren, um eine kritische Bewegung ohne Fixpunkt. Immer neu ansetzend, müssten konkrete Anmaßungen unterlaufen werden. Das sei vielleicht nicht gerade hoffnungsfroh, aber davon kann sich ein analytisches Auge nicht leiten lassen.

Auf die finale Frage nach dem Thema seines nächsten Buchprojektes gab Bröckling an, dieses werde sich wohl um eine Genealogie der Widerständigkeit drehen, sofern er Zeit fände. Ob das der eventuellen Traurigkeit Abhilfe schaffe, wisse er aber auch nicht. Mit dem Leitbild des unternehmerischen Selbst, so ließe sich anfügen, werden wir jedenfalls noch eine Menge Freude haben.

Ulrich Bröckling zu Gast im Thomasius-Club

Ein Gespräch über das Buch „Das unternehmerische Selbst – Soziologie einer Subjektivierungsform“ (Suhrkamp Verlag – Frankfurt/M. 2007, 327 S. – 13 €)
Moderation: Claudia Albert & Ulrich Johannes Schneider

17. Oktober 2007, Horns Erben

www.thomasius-club.de

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