Postmodernes Bestiarium

Jon Ronsons „Radikal” zeigt die bunte Welt der Verschwörungstheorie

Bloß weil du nicht paranoid bist, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht hinter dir her sind.
Robert Anton Wilson: Lexikon der Verschwörungstheorien

Wer regiert die Welt? Das Geld? Die UNO? Einige Staaten der nördlichen Hemisphäre? Oder nicht doch eine Geheimgesellschaft? Eine kleine verschwiegene Gruppe, ein klandestiner Zirkel, der im Hintergrund die Strippen zieht? Davon sind manche Menschen tatsächlich überzeugt. Radikal berichtet von solchen Verschwörungstheoretikern, die auf allzu simple Antworten für die Geschicke der Welt zurückgreifen.

Der Journalist Jon Ronson stürzt sich erkenntnissüchtig in sein Abenteuer mit Extremisten. Dabei begegnet er allerlei wunderlichen Menschen, die in manichäischem Dualismus die Welt lediglich in Gut und Böse einzuteilen vermögen und sich in ihrem unbestätigten Geltungsdrang ins apokalyptische Terrain der Schwarz-Weiß-Malerei flüchten. Das Buch erscheint wie ein längerer Besuch der Speaker’s Corner in London, wo jeder und jede ihren Senf und Ansichten narrenfrei in die Welt posaunen kann. Man trifft die skurrilsten Sektierer, die absurde Theorien über planetare Verschwörungen und Machtergreifungen herbei phantasieren. Die angesichts der Unübersichtlichkeit der Welt in Personifizierungen verfallen, um ausgemachte Malefizien an den Pranger zu stellen. Schuldige finden sich schließlich rasch und man muss nicht lange selbst suchen, wenn man althergebrachte Denkmuster bemühen kann. Dass hierbei fast immer Antisemitismus und Rassismus mit im Spiel sind, verwundert wenig, schließlich tauchen in den abwegigen Spekulationen immer wieder traditionelle Sündenböcke auf wie Freimaurer, Juden und andere als inferior ausgemachte „Rassen“ oder eben eine zionistisch-dominierte Weltverschwörung des Geldadels. Es ist aber, gelinde gesagt, eine unterkomplexe Vorstellung, dass eine kleine Machtelite die Welt insgeheim steuern könnte. Protagonisten solcher Offenbarungen sind im Buch zum Beispiel ein ehemaliger Sportreporter, die selbsternannte Reinkarnation Jesus‘, dessen Vorhersagen zufolge die Welt bereits untergegangen sein müsste. Oder ein Londoner Hassprediger und „Reihenhaus-Ayatollah“, der zum Djihad ruft, oder ein Ku-Klux-Klan-Führer, der in der Suche um politische Anerkennung trotz rassistischer Hetze tunlichst das Wort „Neger“ meidet. Völlig absurd wird es, wenn Ronson eine Vorstellungswelt nachzeichnet, in der von extraterrestrischen Echsenwesen die Rede ist, welche in Menschengestalt die Politik lenken.

Allerdings ist die Portraitgalerie der Jan van Helsings dieser Welt nicht nur eine Schau verschrobener aber harmloser Kauze. Das Buch ist vor dem 11. September entstanden, weshalb seine Grundstimmung gänzlich angstfrei ist. Man wundert sich über die verkorksten Ansichten, als potentielles Risiko geraten diese aber nicht genügend in den Blick. Das ist dahingehend völlig legitim, da sich das Buch nicht selbst im paranoiden Wahn ertränkt. Der Keim der Gefahr allerdings, der auch in den abstrusesten Weltsichten steckt, hätte bisweilen ein bisschen mehr herausgeschält werden können. Schließlich gab es auch zur Zeit der Buchveröffentlichung bereits besorgniserregende Anlässe wie die Detonation in der Tiefgarage des World Trade Centers oder die Bombe von Oklahoma City. Von der alltäglichen mentalen wie strukturellen Diskriminierung und Gewalt gegenüber Minderheiten in der „westlichen Welt“ einmal ganz abgesehen. Das findet bei Ronson zwar beiläufige Erwähnung, angesichts dessen geraten die Protagonisten allerdings doch zu ulkig.

Die sprachliche Gestaltung ist gleich in mehreren Punkten zu kritisieren. Da ist zunächst der nur dumm zu nennende deutsche Titel. Statt das Original Them adäquat zu übertragen, wurden einmal mehr die Begriffe „radikal“ und „extrem“ sinnfrei durcheinander gewürfelt. Ferner häufen sich im Text Unverständlichkeiten und offensichtliche Druckfehler. Mitunter werden Wendungen und Artikel benutzt, die auffallen. Vielleicht ist es ja im Schweizer Deutsch gebräuchlich, „der Spray“ zu sagen, „Abrede“ statt „Ausrede“ und man bespricht etwas an Versammlungen, wie man auch an diese geht. Warum der schweizer Verlag allerdings für ein auf dem gesamten deutschsprachigen Markt erscheinendes Buch auf die dialektalen Formen zurückgriff, ist unklar, zumal die Lektorin in Berlin sitzt. Hinzu kommt eine schlichte und eher belanglos-langweilige Sprache, die mit dem ironischen Inhalt weder mithalten kann, noch zu diesem passt. In dem gewiss solide produzierten Zeitungsstil häufen sich die Wortwiederholungen, floskelhaften Redewendungen und unpassenden Formulierungen. Das war entweder bereits im englischen Text der Fall oder dies ist ein weiterer Hinweis auf die miserable Bezahlung von ÜbersetzerInnen und LektorInnen im Verlagswesen. Für diese ist das gesamte Buch eine eindrucksvolle Demonstration, was die Lesefreude leider arg trübt.

Ein weiterer Umstand lädt zur Verwunderung ein: Das Buch kam in Großbritannien bereits im Jahr 2001 heraus. Und da es innerhalb einer fünfjährigen Recherche entstand, zeichnet es ein Bild der 90er, ist also mehr zeitgeschichtliches Dokument denn aktuelle Information. So ist der auf Missionsfahrt durch Kamerun porträtierte Ian Paisley, Scharfmacher und Führer der Democratic Unionist Party, heute Regierungschef in Nordirland. Warum das Buch nun erst auf Deutsch erschien, bleibt ein Rätsel. Damit wird ihm einiges an Relevanz genommen. Natürlich haben die skurrilen Erlebnisberichte eine magische Anziehungskraft auf die eigene Neugier. Die bleibt aber zum Teil unbefriedigt. Das Werk macht hierdurch einen halbgaren Eindruck. Als ein postmodernes Bestiarium ist es ganz possierlich, aber durch den weitestgehend beschreibenden Charakter nur wenig erhellend. So bleibt Radikal trotz sprachlicher Mängel ein buntes Panoptikum wirrer Ideen und fanatischer Spinner, das zum Kopfschütteln aber nicht -zerbrechen anregt.

Jon Ronson: Radikal – Abenteuer mit Extremisten
Salis Verlag
Zürich 2007
287 S. – 24,95 €
www.salisverlag.com

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