Schöne neue Welt

Rolf Gössner über den Verlust der „Menschenrechte in Zeiten des Terrors“

Wo man so laut schreien muß: Wir sind ein Volk von freien Menschen!, da will man nur die Tatsache verdecken, daß die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder das sie vor Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Regelungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, daß nur noch das Geschrei übriggeblieben ist.
B. Traven: Das Totenschiff

Rasterfandung, Lauschangriff, RFID-Chip-gestützte Reisepässe – Darf’s ein bisschen mehr sein? Nach der vorherrschenden sicherheitspolitischen Meinung ganz gewiss. Denn wir leben in einer Informationsgesellschaft, weshalb Informationen vor staatlichem Zugriff nicht sicher sein dürfen, wenn wir sicher leben wollen.

Dem zunehmenden Abbau der Grundrechte im Zuge des „Antiterror-Kriegs“ ist Rolf Gössner auf der Spur und stellt in seinem Buch die Lieblingsprojekte von Schily, Schäuble und Co. vor. Er präsentiert einen bemerkenswerten Katalog massiver verfassungsrechtlicher Eingriffe der vergangenen Jahre, die letzten Endes alle einer Politik der Angst geschuldet sind. Die beschriebenen Tatbestände mögen wie sicherheitspolitische Horrorszenarien anmuten, sind allerdings keine Fiktionen, sondern bundesdeutsche Realität. Es sollen hier nur einige wenige Fälle aus der langen Liste genannt werden:

Da sind die stetigen Vorstöße, äußere und innere Sicherheit als Komplettpaket zu gestalten und die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen. Das ist zwar derzeit illegal, wurde aber beispielsweise zu WM-Taumel und G-8-Gipfel praktiziert und geprobt. Eigentlich nur folgerichtig, da das Zusammenwachsen von Polizei und Staatsschutz seit längerem gut gedeiht. Die Arbeit dieser Dienste gehört aber laut Verfassung voneinander getrennt. Denn die einen sollen eben den Einhalt der Gesetze garantieren, während die anderen an diesen vorbei Informationen erbringen. Eine Kooperation beider Institutionen hätte genau jenes nicht mehr kontrollierbare Potenzial, die man angesichts des Gestapoterrors per Grundgesetz auszuschließen gedachte.

Geschildert wird weiterhin, wie Otto Schily über den EU-Rat am Bundestag vorbei die Erfassung biometrischer Merkmale in den Pässen einführte und damit nicht nur den Bundes-, sondern allen BürgerInnen der Europäischen Union seinen Willen aufdrückte. Dass am Sinn dieser Maßnahme bezüglich der Terrorismusbekämpfung arge Zweifel bestehen, stand nie und schon gar nicht öffentlich zur Debatte. Pikantes Detail am Rande: Nach seinem Ausscheiden aus der Sicherheitspolitik ist Schily nun Aufsichtsrat einer Sicherheitsfirma, die genau jene Systeme entwickelt, die unter seiner Obhut eingeführt worden sind.

Die Situation der MigrantInnen hat eine besondere Zuspitzung erfahren. So sind verschärfte Restriktionen bei Einreise, Asylverfahren und Abschiebung eingeführt worden. Dies zog häufig gar den Widerruf bereits vergebener Asylberechtigungen nach sich. Plötzlich standen Menschen, die vor Mord und Folter geflohen waren, unter generellem Terrorverdacht. Und die staatsbürgerlichen „Gesinnungstests“ sind ausschließlich für Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern vorgesehen. Diese diskriminierende Praxis wird zum Teil mit Fragen durchgeführt, die auch stramme Rechtskonservative nicht affirmativ beantworten würden, beispielsweise die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Sie gehen darüber hinaus von solch einem hohen Bildungsniveau aus, das gerade MigrantInnen aufgrund des selektiven deutschen Schulsystems in den seltensten Fällen erreichen.

Viele andere Eingriffe in die Grundrechte führt Gössner auf, etwa das – in Teilen revidierte – bilaterale Abkommen zwischen der EU und den USA über Herausgabe von persönlichen Daten von Flugverkehrreisenden oder die zunehmenden Sicherheitsprüfungen und Überwachungen am Arbeitsplatz. Dabei sind viele der eingeführten Maßnahmen keineswegs erfolgreiche Instrumente der Strafverfolgung, schon gar nicht gegen terroristische Gefahren. Sie transportieren vielmehr das Phantasma der absoluten Sicherheit und zeugen von einem neuen Menschenbild: Jeder Mensch gerät als potentielles Risiko in den Blick, das überwacht und kontrolliert werden muss. Dies ist das sicherheitspolitische Paradigma seit dem 11. September, wie Gössner zeigt. Seine Aufzählung macht fassungslos und wütend, weil sie die vielen kleinen Eingriffe, die im Medienmeer oft unbemerkt an uns vorbeirauschen, sammelt und eine Gesamtschau der Grundrechtsbeschneidung liefert. Das Buch bildet hierbei nicht einmal einen bilanzierenden Abschluss, denn der sicherheitspolitische Wahn ging und geht auch nach der Drucklegung weiter. Erinnert sei nur an die Durchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels, die ohne Anfangsverdacht mit dem Verweis auf §129 vage begründet worden sind. Ebenfalls mit Bezug auf diesen Paragraphen wurden die Aktivitäten gegen vermeintliche Mitglieder der so genannten „militanten gruppe“ begründet und es genügten hier Bibliothekszugänge und wissenschaftliches Interesse, um Menschen als mutmaßliche Terroristen in verschärfte Untersuchungshaft zu nehmen. Der geplante „Bundestrojaner“ ist ebenso eine sich in Planung befindliche Ungeheuerlichkeit wie die Vorratsdatenspeicherung, die heute (9. November 2007) der Bundestag beschlossen hat. Damit werden die legalen Grenzen einmal mehr in Richtung Präventionsstaat verschoben: Ab 2008 müssen dem Gesetz nach alle Verbindungsdaten der Telekommunikation – ob Email, Kurzmitteilungen, Telefonnummern oder vom Handy übermittelte Standorte – ein halbes Jahr lang für staatliche Abfragen gespeichert werden. Damit werden alle in der BRD lebenden Menschen verdachtsunabhängig kriminalisiert. Ob die angestrebte Massenverfassungsbeschwerde (www.vorratsdatenspeicherung.de) dem noch Einhalt gebieten kann, bleibt fraglich.

Dem Thema entsprechend ist Gössners Sammlung der schleichenden Grundrechtserosion keine erbauliche Lektüre. Er informiert detailliert über die nicht unpopuläre Rekonstruktion des autoritären Staates, kritisiert das illusorische Sicherheitsdenken in Regierung wie Bevölkerung und übersetzt zusätzlich Gesetzestexte in eine für juristische Laien verständliche Form. Seine einfache wie bedauerliche Botschaft lautet: Wir sind längst in der Kontrollgesellschaft angekommen. – Schöne neue Welt.

Rolf Gössner: Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“
Konkret Literatur Verlag
Hamburg 2007
288 S. – 17 €
www.konkret-verlage.de

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