euro-scene die Erste: „Oedipus loves you” (René Seyfarth)

Oedipus loves you
Im Rahmen der 17. euro-scene Leipzig
Pan Pan, Dublin
LOFFT
Text: Simon Doyle, Gavin Quinn
Inszenierung: Gavin Quinn
Mit: Gina Moxley, Ruth Negga, Ned Dennehy, Derrick Devine, Dylan Tighe
9. & 10. November 2007
www.panpantheatre.com
www.myspace.com/gordonisamime


Beinahe wäre das Barbecue geplatzt

Zuerst betritt die Sphinx die Bühne und gibt ein heftig krudes Medley-Solo verschiedenster Rocksongs zum Besten, dann kommt Ödipus vorbei, löst das Rätsel und die Sphinx stürzt von dannen. Dies ist eigentlich die Legitimation von Ödipus als Sieger über die Sphinx auch König zu sein. Aber so sicher ist man sich da heute nicht mehr: „Was war denn eigentlich so schlecht an der Sphinx, die hatte doch einige ganz gute Songs drauf?“

Wer die Geschichte von Ödipus nicht kennt, hat wenigstens schon vom gleichnamigen Komplex gehört. Es bietet sich also an, den Stoff mit Freud zu bearbeiten und die ganze Familie in Therapie zu schicken. Die leidenschaftslose Mutter Iokaste, den etwas freakigen, aber vergleichsweise „normalen“ Sohn Kreon, die pathetisch überdrehte, spätpubertäre Antigone und natürlich Ödipus, der seine Familie nicht in den Griff bekommt und die Welt nicht versteht; es ist doch alles okay und könnte einfach immer weitergehen? Entsprechend ist Teiresias nicht nur blinder Seher, sondern abgehalfterter Glamrocker und Psychotherapeut in einem.

Also nimmt die Geschichte ihren Lauf wie sie in groben Zügen seit Jahrtausenden immer wieder erzählt wird, nur das Dekor ist verändert. Ödipus frühstückt Cornflakes, Iokaste räkelt sich am Liebsten in rotem Satin und Antigone und Kreon haben eine Band gegründet, in der sie ihren Familienstress musikalisch verarbeiten. Als solche unterbrechen sie das Sprechtheater, holen ihre E-Gitarren hinter der Therapiecouch hervor und rocken. Selbst die müde Iokaste springt den beiden aus der Küche zur Seite und in Ermangelung eines Chors gibt es ja jetzt einen DJ (der auch gleichzeitig Regisseur ist). Entstanden ist dadurch eine überaus farbenfrohe, gewitzte und zitatfreudige Adaption der antiken Tragödie, welcher durch zahlreiche Gleichzeitigkeiten der Inszenierung stellenweise schwer zu folgen ist. Über der Bühne sind zwei Monitore angebracht – während man in einem Monitor kommentarähnliche Nebensächlichkeiten verfolgen kann, überträgt eine Überwachungskamera das aktuelle Geschehen im Schlafzimmer, wo allerdings wenig vor sich geht.

Ziel der Inszenierung war jedoch nicht eine Zitatclownerie, sondern die Suche nach den aktuellen Bezügen des Stoffes, vor allem Sexualität, Identität und Ängste betreffend. Und es ist erfrischend, wenn das nicht mit betroffener Mine und unendliche Seelenwanderungen und Zustandsintrospektionen geschieht, sondern in ständiger Selbstkorrektur des Pathos auf der Bühne durch die Schauspieler selbst. Antigones Moralversessenheit wird ebenso wenig Ernst genommen wie die Methoden und Fragen des Therapeuten – doch die Veralberung hält nichts auf, alles nimmt genauso seinen Lauf, als sei es bierernst. So wird die Inszenierung zu einer Absage an die große Geste und stellt die Erkenntnis, die in Humor und Ironie ihren Ursprung hat, in den Vordergrund. Dies gelingt nicht nur im heiteren Schabernacken, sondern vor allem auch in der Schlüsselszene, der Enthüllung der Wahrheit über Ödipus: Der abgedunkelte Bühnenraum wird immer mehr erleuchtet, indem Antigone mit einem Messer in die schwarze Farbe auf dem Scheinwerfer schneidet, wozu die bombastisch-salbungsvollen Klänge von Strawinskys Oper Oedipus Rex erklingen. Glaubt man zuerst, nun sei der Pathos – wenngleich auch als ein ungeheuerlich eindrucksvolles Bild – wie ein Ufo auch in diesem Stück gelandet, geht doch wieder nur das Licht an, die Schauspieler machen die gleichen vom Leben gelangweilten bis angekotzten Minen und fahren fort im bunten Reigen, so dass in der Schlussszene die erhängte Iokaste und der immer noch aus den Augen blutende Ödipus wieder – same procedure as every year – beim Barbecue sitzen und die Familie wie üblich mäkelt, dass die Würste scheußlich sind.

(René Seyfarth)

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