euro-scene die Zweite: „Alchemik Halucynacji” & „D-KOD R” (René Seyfarth)

Alchemik Halucynacji & D-KOD R
Im Rahmen der 17. euro-scene
Teatr Okazjonalny
Schaubühne Lindenfels
Choreografie & Tanz: Joanna Czajkowska, Jacek Krawczyk, Monika Grzelak, Przemyslaw Wereszczynski
7. & 8. November 2007
www.occasiondance.com


Technisch exzellente Technikkritik

Es ist irreführend, dass die kleine Kompanie aus der kleinen polnischen Stadt Sopot den Namen Gelegenheitstheater (Teatr Okazjonalny) führt. So könnte man glauben, dass eine junge Laiengruppe gelegentlich gemeinsam die Beine schwingt und mit dem Exotenbonus im Gepäck in das Programm der euro-scene hineingerutscht ist. Jacek Krawczyk und Joanna Czajkowska sind jedoch erfahrene Profis, die gemeinsam mehr als 20 Produktionen geschaffen haben und auf zahlreichen Bühnen in Polen und im Ausland aufgetreten sind. Und sie sind kein bisschen müde und scheinbar kennen sie dieses Wort auch nicht. Gleich zwei Stücke brachten sie in der Schaubühne Lindenfels zur Aufführung und man geriet ja bereits als Zuschauer aus der Puste ob dessen, was man da sah. Nur kurze Phasen der Ruhe und Erholung gönnten sich die Tänzerinnen und Tänzer, um gleich wieder zum nächsten aufreibenden und anhaltenden Ausbruch der Bewegungen überzugehen – hier hatte Tanztheater beinahe schon Spektakelcharakter. Die langjährige Bühnenerfahrung äußerte sich entsprechend auch in einer atemberaubenden technischen Versiertheit und Körperbeherrschung.

Dies merkte man vor allem im ersten Stück, dem Duett Alchemik Halucynacji (Alchemist der Halluzinationen). Die Bilder dieser Inszenierung bauen auf den Gedichtband Pan Cogito (Herrn Cogitos Vermächtnis) von Zbigniew Herbert auf, was für ein nichtpolnisches Publikum problematisch ist. Denn dieser in Polen als Schullektüre allgemeinbekannte Stoff ist hierzulande nur wenigen ein Begriff. Entsprechend schwierig ist es auch, den roten Faden in der Aufführung zu finden, denn der ist Herberts Lyrik und ohne deren Kenntnis sieht man eine Aneinanderreihung von komplizierten und vieldeutigen Bildern, zahlreiche Bewegungen, aber von wenig Mimik begleitet, so dass sich für die Unkundigen keine kohärente Atmosphäre aufbauen konnte.

Dies gelang jedoch umso mehr mit dem zweiten Stück, wo gleichsam aus der Ursuppe Leben entstand. Schleimiges Glucksen und andere schlierende Geräusche erfüllen einen dunklen Bühnenraum, gedämpfte Schlaglichter erhellen sich windende Körper, die in ihrer Fremdartigkeit einerseits änstigen, aber gleichsam selbst Angst zu haben scheinen. Daraus entfesselt sich ein wilder „Stammestanz“ von beeindruckender Bildkraft. Dem folgt eine Darstellung der zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer Kommunikationswege, wo wesentlich weniger interagiert, sondern viel mehr verschlüsselte Codes ausgetauscht und über weite Strecken übertragen werden. Man muss keine großen Stücke auf diese evolutionäre Programmatik setzen, die eine heile Welt der „Primitiven“ der fremdelnden Kälte des Jetzt gegenüberstellt, aber man muss dem „Gelegenheitstheater“ für eine ausgezeichnete Umsetzung dieses Themas applaudieren. Nicht alle Bewegungen saßen so minutiös wie im ersten Stück, die Synchonizität musste manchmal etwas zurückstecken, doch die Dichte der Stimmung nahm dadurch keinen Schaden.

(René Seyfarth)


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