Abschiedsbriefe

„Ende der Ästhetik?“ sucht nach der Bedeutung der Lehre vom Schönen

Bis zum Jahr 2006 gab es in Leipzig einen Lehrstuhl für Ästhetik, angesiedelt am Institut für Kulturwissenschaften. Aufgrund von so genannten Einsparmaßnahmen wurde mit dem Renteneintritt der Lehrstuhlinhaberin Uta Kösser diese Stelle gestrichen. Im sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) wird diese Entscheidung keine Sorgenfalten verursacht haben, denn hinter dem Feinsinniges verheißenden Titel verstecken sich doch nur die immergleichen Buchhalter. Und wozu soll denn ein Lehrstuhl für Ästhetik gut sein? Im Freistaat gibt es schließlich schon eine Fachhochschule für Mode und zahlreiche Berufsschulen für’s Frisierhandwerk.

Der Band, die Zusammenfassung der gleichnamigen Tagung im Sommer 2006, versucht ex post die Frage nach der Notwendigkeit oder Bedeutung der Disziplin Ästhetik zu beantworten. Dieser Teilbereich der Philosophie steht in seinem Tun nur geringfügig in Zusammenhang mit dem alltagssprachlichen Gebrauch des Wortes „ästhetisch“, das meist als Synonym zu „schön“ verwendet wird. Die Ästhetik führt ihre Wurzeln auf Alexander Gottlieb Baumgarten zurück, der im 18. Jahrhundert in seinem Werk Aesthetica für die Sinnlichkeit argumentierte, als Ergänzung des bis dahin bestehenden Monopols der Vernunft als einzigem Weg zur Erkenntnis. Es wäre eine arge Verkürzung, wenn man behaupten würde, seitdem habe sich nichts verändert, denn der Untertitel der Disziplin Ästhetik änderte sich seitdem häufig: Philosophie des Schönen, Philosophie der schönen Kunst, Kunstphilosophie, ein intensiver Flirt mit der Psychologie, ?, doch um es beim schlagwortartigen, etwas unernsten Verkürzen zu belassen, haben spätestens Tocotronic den Evergreen der Ästhetik vertont: „Pure Vernunft darf niemals siegen“.

Und um gleich noch eine Phrase nachzuschieben, belässt es die Ästhetik eben nicht bei der reinen Sinnlichkeit der Oberflächen, sondern bemüht sich um eine Bezugsetzung von „Schein und Sein“, die sich nicht selten in Begriffshülsen widerspiegelt wie zum Beispiel im Namen eines Ministeriums, dass auch nur Verwaltung ist oder eben in der Medien- und Werbesprache, welche viel verspricht, doch am Ende nur ein Image und kein Produkt mehr verkauft. Die Ästhetik wäre demzufolge der (gedankliche) Ort, an dem diese Begriffe und Techniken untersucht und auf ihren Bezug zur Wirklichkeit abgeklopft werden. Denn in der gesellschaftlichen Zuschreibung, dass etwas schön sei, steckt immer eine größere Aussage über die Gesellschaft als über das vermeintlich schöne Objekt. Entsprechend sind im Verlauf der Fachgeschichte auch Begriffe wie hässlich, erhaben, komisch, Schein, Schrecken und viele andere in den Fokus des Interesses gerückt.

Hierüber legt das schmale und auch für Laien gut verständliche und leicht lesbare Bändchen beredtes Zeugnis ab. Dies geschieht im großen Panorama wie im Beitrag Uta Kössers, in Einblicken in die aktuelle Forschung der „letzten PartisanInnen“ der Leipziger Ästhetik bei Sabine Sander und Pascal Pilgram oder in aufschlussreichen und interessanten Analysen historischer und alltäglicher Phänomene, wie in Gerd Königs Artikel über das hässliche Feindbild oder Editha Marquardts Untersuchung zum Stadtmarketing. Melanie Sachs hinterfragt am Beispiel von Clement Greenberg die Aussagekraft und Legitimation von Kunstkritik und Thomas Jacobsen nähert sich als Psychologe dem Gebiet der Ästhetik mit einer ganz anderen, aber nicht minder interessanten Herangehensweise. Diese Streiflichter kumulieren gewissermaßen in dem anregenden letzten Beitrag „Werde wild, ?aber nicht ohnmächtig“ von María Isabel Pe?a Aguado, welche im Potential der Erfahrung des Ästhetischen als ein Spiel mit dem als ob die Beziehung zwischen Vernunft einerseits und Sinnlichkeit und Einbildungskraft auf der anderen Seite herstellt. Diese scheinbar alltägliche und universale Fertigkeit wird im vorliegenden Band aus akademischer Perspektive präsentiert und kann als überzeugender Beweis dienen, dass mit der Streichung der Leipziger Stelle eine empfindliche Lücke in der akademischen Lehre und Forschung entstanden ist. Ohne didaktisch erhobenen Finger werden scheinbare Selbstverständlichkeiten demontiert und in ihrer Tiefe ausgelotet. Wenn man sich nicht von den etwas zu raumgreifenden Abschiedsreden stören lässt, lohnt sich dieses Buch vor allem für all jene, die einen Einblick in dieses lebensnahe, aber doch meist fremde Fachgebiet gewinnen wollen.

Uta Kösser, Pascal Pilgram & Sabine Sander (Hrsg.): Ende der Ästhetik? Rück- und Ausblicke
filos Verlag
Erlangen 2007
162 S. – 12,80 €
www.filos-verlag.de

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