euro-scene die Sechste: „Hochzeiten und Gerichtsprozesse” (Maria Hetzer)

Hochzeiten und Gerichtsprozesse (Svadbe i sudenja)
Teatar & td, Zagreb – Laboratorio Nove, Florenz
Im Rahmen der 17. Euro-scene
Theater hinterm Eisernen / Schauspielhaus
Textcollage: Branko Brezovec nach Gabriele D’Annunzio „Gloria“ & Edvard Kocbek „Schwarze Orchidee“
Dramaturgie und Inszenierung: Branko Brezovec
Mit: Simona Arrighi, Suzana Brezovec, Helena Buljan, Mislav Cavajda, Sandra Garuglieri, Sergio Aguirre, Daniele Bonaiuti, Selpin Kerim, Siniša Miletic, Manola Nifosi & Silvano Panichi
7. & 8. November 2007
www.sczg.hr
www.eurokaz.hr
www.laboratorionove.it


Tito ist tot, es leben die Toten – kroatische Grußbotschaften an die euro-scene 07

Was haben ein italienisches Drama des 19. Jahrhunderts (Gabriele D’Annunzios Gloria) und ein slowenisches Partisanenstück des 20. Jahrhunderts (Edvard Kocbeks Schwarze Orchidee) gemein, um sie in einer Inszenierung gegeneinander antreten zu lassen, bis sie Schatten des anderen werden?

In der sorgfältigen Montage zweier grundverschiedener Stücke entstehe, so der Ansatz der Inszenierung, aus deren gegenseitiger Übermalung eine, wenn nicht gar die größere Wahrheit. Eine Wahrheit, die Zeit (also Jahrhunderte) und Raum (also Kroatien, Jugoslawien und Italien) durchschneidet. Die basale Einsichten aus der trägen Masse der Zeitgeschichte filetiert. Die einen dritten Weg sucht – wie Tito selbst das tat. Gordana Vnuk, künstlerische Leiterin des Festivals Eurokaz, Zagreb, und ehemals auf Kampnagel, bezeichnet diese Technik als „Theater der Andeutungen“, sparte sich aber – bescheiden? – den Fingerzeig auf Heiner Müller und Co.

Hochzeiten und Gerichtsprozesse (Svadbe i sudenja) interessieren Branko Brezovec trotz Titelgebung wenig in seiner lautmalerischen und lustvollen Inszenierung der großen Geste. Das Begehren (des Weibes) und das daraus folgende notwendige Verderben (des Weibes und des Mannes) markieren die inhaltlich-moralische Klammer zwischen den Stücken und verkürzten die Komplexität von bluternsten Maßnahmen im Sinne Brechts. Die performative Nacktheit der Schauspieler des italienischen Stücks erinnerte an Sommerurlaube auf ungarischen FKK-Zeltplätzen oder eben an der Ostsee. Wie lange müssen Brüste, Schwanz und Pobacken baumeln, bis man auf die Gesichter schaut? Die Nacktheit ist gut gepflegt, nicht uneitel, und leichter als auf einer Bühne lässt sich nirgendwo nackt bewegen. Wenn der Körper anfängt, hört der Charakter noch lange nicht auf. Die Scham ist ein Privileg des Schauenden. Soweit das.

Die Schauspieler des korrespondierenden slowenischen Stücks waren ähnlich spärlich bekleidet in ihrer Uniformierung für den Freiheitskampf. Soviel zur anfänglichen Identifizierung von Akteuren, die sich schon bald in einem rasanten Singwettbewerb und akrobatischen Ausnutzungen der Bühne duellierten. Da kreisten die jämmerlichen Partisanenfetzen wie Wodka zwischen den souveränen Schauspielern hin und her, die Verwobenheit beider Stücke ins Unkenntliche steigernd. Was die eine hier auszog, band sich die andere dort um. Was der eine hier italienisch ausspuckte, kaute der andere dort kroatisch wieder. Immer wilder wurde das Kleiderkörperkarussell. Schon bald glich die Bühne einem brodelnden Kessel – viel Fleisch, viel Erotik zwischen den Figuren, viel Gymnastik und Gesang – das Ganze auf engstem Raum. Die spitz zulaufenden Bühnenwände trieben elf Schauspieler auf den Schoß des Zuschauers zu. Lecker. (Im Hintergrund rasierte sich Tito fröhlich für Stunden.) Die komplett mobile Bühne wurde nicht müde, Schauspieler zu schieben, drehen, wirbeln, stapeln und verstecken. Eine zweistöckige Eisenkonstruktion mutierte zum Käfig, Kartenhaus, antiken Theater, eine Holztreppe zum trauten Heim, Aussichtspunkt und Opferaltar. Wer sich schließlich wie und warum verabschiedete, umkam oder geopfert ward – was interessierte es uns, die wir in der dramaturgischen Rasanz der Stücke auf den Rücken der verpoppten Partisanenhymnen dahin ritten, dahin, dahin…?

Es wurde bewusst auf Übersetzung verzichtet – zugunsten des ungestörten visuellen Genusses der Inszenierung, so Ann-Elisabeth Wolff, Festivalleitung und Scout des Stücks. Der ausgeteilte Stücktext wie Szenenablauf las sich, welch Wunder, im Nachhinein wie ein ganz anderes Stück. Die mögliche Reibung der Stücke in ihrer inhaltlichen Differenz blieb den wenigen Sprachkundigen vorbehalten.

Schlussendlich blieb der Abgesang auf Tito, ein Bild aus kraftvollem Fleisch. Aber das alles bekamen wir dann schon nicht mehr so richtig mit. Trunken vor Selbstsicherheit und großer Tragödie stolperten wir über unsere Klischees nach Haus.

(Maria Hetzer)

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