Produzierende Lektüre

„Hot Topic“ ist nicht für die Satten erschienen

Es gibt Texte, die sind nur so gut wie ihre LeserInnen. Ein Beispiel dafür wären Nietzsches Arbeiten. Danach gefragt, welchen Status diese denn hätten, antwortete Deleuze einmal sinngemäß, da solle man bitte einfach die jungen Menschen fragen, welche ihn gerade läsen. So in etwa erinnere ich das zumindest. Es wäre aber auch nicht schlimm, sollte Deleuze dies nicht gesagt haben, denn der Grundgedanke ist so oder so vernünftig.

Es gibt Bücher, die sind vor allem dann gut, wenn aus ihnen Werkzeugkisten werden, wenn sie auf ein vielleicht noch unbewusstes Begehren antworten, vielleicht eben dieses erst evozieren. Es gibt Bücher, die reißen Lücken in Weltbilder, kommen zum rechten Zeitpunkt, verändern oder machen bereit für Veränderungen, und sie werden dabei auseinander genommen, vereinnahmt, vor sich her getragen, benutzt und weiter gereicht. Ich denke: Hot Topic. Popfeminismus heute ist genau so ein Buch. Kurz: Die Lektüre meint hier Arbeit, Produktion.

Wer die Texte nicht braucht, wird sich wahrscheinlich langweilen, Vorurteile bestätigen, manchmal zustimmen, dann mal ein Vorurteil abbauen und so weiter und so fort. Das ist aber unterm Strich völlig nebensächlich. Denn für die Saturierten ist dieses Buch kaum zu gebrauchen, genauso wie Nietzsche nicht für Philosophieprofessoren da ist. Anders gesagt: Man muss schon etwas wollen oder benötigen, damit dieses Buch Funken schlägt. Hot Topic enthält Materialien zu Geschlecht, Sexualität, Körper, Medien, Aktivismus, Musik – um nur einmal die Grobrasterung wiederzugeben. Immer wieder erweisen sich dabei Dekonstruktion, Poststrukturalismus, Gender-Studies und Cultural Studies als wesentliche Orientierungspunkte. Manches wird entzünden, in Frage stellen, inspirieren, aktivieren, manches wird langweilen, peinlich berühren, aber im besten Fall immer doch weiterlesen lassen.

Und wie liest sich das jetzt? Erfahrungsberichte wechseln sich mit kulturjournalistischen Texten ab, theoretische Reflexionen treffen auf politische Positionierungen: Sehr unterschiedlich, sehr heterogen. Sonja Eismann schreibt im Vorwort: „Bewußt habe ich den Autorinnen nahe gelegt, Themen, die ihr Leben oder ihr Denken bestimmen, mit einem persönlichen Zugang – das Private ist schließlich nach wie vor politisch – zu einem theoretischen Diskurs-Level zu führen, um zu demonstrieren, dass Feminismus kein abstraktes Konzept ist, sondern als gelebte Alltagskultur alle Lebensbereiche durchdringt.“ Seltsamerweise ergibt sich dann in der Lektüre der Eindruck manches Mal falle die Spannung zwischen Theorie und Praxis, ihre Differenz und auch ihr Widerspruch weg. Das sind die schwächsten Stellen des Bandes: Es sind diejenigen, in welchen Theorie unproblematisch Problemkitt wird. Dennoch: Dieses Buch ist so gut wie seine LeserInnen. Möge es nicht nur in den Metropolen, sondern auch auf dem Land und der Provinz Verbreitung finden.

Sonja Eismann (Hrsg.): Hot Topic. Popfeminismus heute
Ventil Verlag – Mainz
304 S. – 14,90 €
www.ventil-verlag.de

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