Nouvelle noire

Jaques Tardis „Das Geheimnis des Würgers“ ist eine Hommage an den französischen Krimi

When you’re walking on the streets at night
You turn around and die of fright
What’s that in the shadows?
The Stranglers: In the Shadows

Paris im Februar 1959. Klirrende Kälte hält die Stadt im Griff, eine neblige Ursuppe durchwabert die Metropole. Ins Freie geht nur, wer muss. Und dann streikt auch noch die Polizei. Keine Zeugen, keine Bullen: Idealwetter für den Vollzug mörderischer Pläne oder gar für das perfekte Verbrechen.

Ein mysteriöser Killer nutzt die Chance und verübt täglich einen Mord. Unklar sind sein Motiv sowie die Verbindung der Opfer. In welcher Beziehung stehen der schmierige Komödienmime, der blinde Backgammonspieler, der Handlungsreisende für Sammlermarken, der alte Zeitungsverkäufer und der Gelegenheitsgeiger mit Tropenhelm? Den einzigen gemeinsamen Nenner scheinen die Würgemale an ihren Hälsen zu bilden. Während sich die Flics weiter im Arbeitskampf um einen Risikozuschlag befinden und Hauptinspektor Budé heimlich den Streikbruch betreibt, versetzt der „Mitternachtswürger“, wie die Gazetten den Mörder nennen, Paris weiterhin Nacht für Nacht in Angst und Schrecken.

Mit der Comic-Adaption von Pierre Siniacs Kriminalromans Monsieur Cauchemar – 1960 unter dem Pseudonym Pierre Signac veröffentlicht – legt Jaques Tardi eine weitere kunstfertig erzählte Graphic-Novel vor. Der französische Comic-Autor, der sich mit Adeles ungewöhnliche Abenteuer und Adaptionen von Malets Geschichten um den Detektiv Nestor Burma seit den 1980er Jahren einen Namen im deutschsprachigem Raum gemacht hat, beweist einmal mehr seine Meisterschaft in der gezeichneten Narrative. In fünf Kapiteln, die mit Zeitschriftendeckblättern eingeleitet werden, entfaltet sich die intelligente Geschichte, die immer dann Rätsel aufgibt, wenn man meint der Lösung des Falls nahe zu sein. Mit klarer Bildsprache und ausgefeilten Dialogen erzählt, zeigt auch dieser Band Tardis Liebe zum Detail. In den etwas skizzenhaft anmutenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind viele kleine Anspielungen zu Historie und Alltagskultur versteckt. Und die Zeitschriftenseiten enthalten die eigentliche Geschichte nicht tangierende Texte von den AutorInnen – zumindest dem Namen nach – Michel Boujut, Pierre Lebedel und Dominique Grange, mit denen Tardi für frühere Publikationen zusammengearbeitet hat. In diesen Randbemerkungen kommt die Liebe zum Film der Fünfziger Jahre ebenso zur Sprache wie politische Bekenntnisse. So ist die Ankündigung des Drehbeginns von Fellinis La Dolce Vita zu lesen, Huldigungen an Godard, Chabrol und Hitchcock, Reflexionen über das Desertieren und die Ablehnung der Todesstrafe.

Bis zu den letzten Seiten bleibt Das Geheimnis des Würgers offen, seine Identität unbekannt. Die Aufklärung bringt schließlich nicht nur ein überraschendes Ende, sondern gleich neun. Zugleich wie ein kleiner Spaziergang durch die Stadt an der Seine wirkend, ist diese Nouvelle noire eine stimmungsvolle wie fesselnde Hommage an den französischen Kriminalroman.

Jaques Tardi & Pierre Siniac: Das Geheimnis des Würgers
Graphic-Novel
Edition der Moderne
Zürich – 2007
96 S. – 22 €
www.editionmoderne.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.