Danse macabre: „Dia Gnose” ist Körpertheater zwischen Lust und Sterben (René Seyfarth)

DIA GNOSE
Schaubühne Lindenfels
Von & mit: Anton Adassinsky
Sowie: Elena Yarovaya, Tatiana Luzay
10. Januar 2008
www.derevo.org


Stirb langsam als danse macabre

Durch eine dunkle Nebellandschaft schleicht hochhackig ein blasser dürrer Schatten. Beginnt es bereits mit dem Tod? Im nächsten Bild erhebt sich eine hagere Gestalt grimassierend zwischen zwei Männerbeinen. Geht es mit einer Erektion weiter? Szenenwechsel und zwei finstere Typen torkeln in eine Bar und erschießen den Wirt. Aber er steht wieder auf. Dann erschießt man ihn halt ohne Schalldämpfer noch mal, was offenbar besser wirkt. Nun glaubt man als Zuschauer, sei der Tod endgültig gekommen und die Hauptfigur deliriere sich durch die nächsten Szenen, die wie Traumbilder aneinandergereiht sind und von Zauberwesen und Monstren durchwandert werden. Man glaubt, einen roten Faden gefunden zu haben, die verschiedenen Stadien des Todes defilieren zu sehen: Kampf, Wahnsinn, Erschöpfung, Frieden, Aufbäumen und Niederlage. Aber wenige Minuten später findet man sich doch nur wieder auf der falschen Fährte. Spätestens jetzt wird zumindest klar, dass es sich um ein Verwirrspiel handelt, das zwischen Lust und Sterben, Darben und Krakeelen pendelt.

Den postulierten Anspruch, Bilder von maximaler Verständlichkeit aufzubauen und einfache Dinge auf die Bühne zu bringen, will man nicht so recht verwirklicht sehen. Sicherlich kann das in einem frühen Bild der Aufführung auftauchende possierliche Bienchen später als tückischer Krankheitserreger entlarvt werden, oder geht man doch der überdeutlichen Chiffrierung auf den Leim, wenn man das Rotkreuz-Engelchen mit den vielen Pillen mit T-Helfer-Zellen assoziiert? Zumindest liefern sich Engelchen und Bienchen im weiteren Verlauf des Abends eine erbitterte Schlacht von platoonschen Ausmaßen auf der Bühne. War er das jetzt, der Sieg über die Krankheit? Man will es alles gar nicht mehr so recht glauben, aber die Lust am Zuschauen bei diesem sinnlichen und abwechslungsreichen Stück Körpertheater öffnet sich auch den Ungläubigen und Ketzern.

Schwer zu übertreffen ist hierbei die androgyne Tatiana Luzay. Kontorsionistisch in eine Blechwanne gequetscht wird sie in einer Szene auf die Bühne getragen und dort der von ihr geformte Körperhaufen wie ein Teig durchgewalkt. Man traut den eigenen Augen nicht und sobald sich die Gewissheit verdichtet, dass das Gesehene tatsächlich etwas wie ein als Modelliermasse inszenierter Körper war, hebt schon das nächste Bild an, in welchem ein Skelett hinterm Tresen Gläser poliert und anderlei Alltagsgeschäfte verrichtet. Der darauf folgende Totentanz des Klappergestells ist von makaber-komischer Schönheit, an der man sich wiederum kaum satt sehen kann.

Der aufgeworfenen Bilder sind viele, sie alle zu beschreiben wäre langatmig. Sie zu bestaunen, schlägt jedoch in den Bann und lässt die Zeit wie im Flug vergehen. So vermischt sich der Abend zu einer Mixtur aus ernstem Schabernack und bunter Leichenfledderei voller Anspielungen und Kunstnebel, der trotz aller Nabelschau den schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Rätsel ohne Fehltritte meistert. So wird sich zum Schluss hin auch nicht verneigt, sondern zum Applaus ein Narrentanz aufgeführt und die letzten Requisiten verheizt. Damit man wenigstens eins ganz sicher weiß: Das Spiel ist nicht vorbei, es geht immer weiter.

(René Seyfarth)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.