Naschen ohne Reue

Mit „My Blueberry Nights” geht Regiemeister Wong Kar Wai nach Amerika

Elizabeth (Norah Jones) tritt verzweifelt in ein Café und stellt die unsinnige Frage nach einem Kunden, der gern Schnitzel ist. Auf der Suche nach dem Mann, den sie liebt, findet sie jedoch nur die Enttäuschung, dass dieser lieber mit anderen Frauen Schnitzel speist. So bleibt sie in dem Café hängen, als einzigem Anlaufpunkt, der ihr in New York geblieben ist; fühlt sich wie der Blaubeerkuchen in der Auslage, der aus unerfindlichen Gründen immer übrig bleibt, während Käse- und Apfelkuchen ihren Absatz finden.

Während sie sich dem Blaubeerkuchen intensiv zuwendet, lernt sie schrittweise den Barbesitzer Jeremy (Jude Law) kennen, welcher der melancholischen Fremden rasch verfällt. Doch die naschhafte Phase endet im Aufbruch ohne Abschied; Elizabeth fährt quer durch die USA, ohne ein besonderes Ziel außer ihren Kummer zu bewältigen und das Geld für ein Auto zusammenzukratzen. Während ihrer Odyssee lernt sie Menschen kennen, die einen wesentlich größeren Schmerz mit sich tragen als sie selbst. Am Ziel vorbeigeschossene Biografien, die ihr eigenes Drama in Alkohol konservieren oder hinter einem mühsam aufgebauten Gewinner-Image ihre Schwächen kaschieren.

Wong Kar Wai ist in seinem ersten englischsprachigen Film seinem Stil ebenso treu geblieben wie seinen Motiven. Das dräuende Elend von Einsamkeit und unerfüllter Liebe, die sich zwischen den Neonlichtern der kleinen Bars und Cafés und durch die Nacht rauschenden Nahverkehrszügen abspielt. Die dichte Atmosphäre, die er mit diesem an sich konventionellen Thema zu erschaffen vermag, verdichtet sich in wenigen Bildern, die jedoch von so großer Intensität sind, dass sie einen ganzen Film über ausgekostet werden können. Die zahlreichen Wiederholungen und die sich nur sehr langsam, kaum merkliche Entwicklung der erzählten Geschichte mag dabei sicherlich in den Augen mancher eher ermüdend oder belanglos wirken. Aber auf der Suche nach einer rasanten Story wird man im Werk Wongs ohnehin nicht fündig werden – selbst in den außergewöhnlich knackigen Filmen Chungking Express oder dem zu Unrecht wenig bekannten Fallen Angels, die im kriminellen Milieu Hongkongs ihren Platz finden, werden neben aller Action vor allem melancholische Stimmungen ausgelotet und geradezu exzessiv gefeiert.My Blueberry Nights steht dagegen mehr in der Tradition von In the mood for love und 2046, was durch die Adaption des schon legendär gewordenen Soundtracks Yumeiji’s Theme überdeutlich gemacht und durch samtig in das Erzählgefüge eingefügte Tracks von Norah Jones, Cat Power und Ry Cooder geschmeidig ergänzt wird.

Und nicht zuletzt ist es nicht nur das übergroße Talent für Bilder, sondern auch das Geschick, bekannte Schauspieler völlig neu zu inszenieren. So ist nicht nur ein schmelzendsüßer Bilderreigen entstanden, sondern auch eine große Ensembleleistung. Natalie Portman, David Strathairn und Rachel Weisz brillieren in ihren Nebenrollen als grandiose Charakterdarsteller mit bewundernswertem Situationsgespür. So gelingt es Wong Kar Wai auch auf fremdem Terrain, jenseits von Hongkong, in kurzen Szenen und angerissenen Geschichten sehr viel Alltag und banales Leben in einen eher episch angelegten Stil zu integrieren. Dadurch kann der wenig außergewöhnliche Erzählstrang einer von der Liebe enttäuschten und doch wieder zur Liebe findenden Frau zu einem opulenten Film anwachsen, was stellenweise aufgebauscht wirken kann. Wenn man dann aber eingelullt wird, so doch so wohlig und berückend, dass man die eigene Überwältigung wie die Sättigung nach einem raffinierten Essen erlebt: ganz ohne Völlegefühl und Reue, sondern in versonnener Zufriedenheit. Allerdings: mehr nicht.

My Blueberry Nights

R: Wong Kar Wai
Mit: Norah Jones, Jude Law, David Strathairn, Rachel Weisz, Natalie Portman u.a
CHI/US 2006
Verleih: Prokino (Fox)

Kinostart: 24. Januar 2008


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