Lebenslinien in Melancholie

Jason Lutes‘ Graphic Novel „Narren“ illustriert ein trostloses Leben

Der Zweck oder das Absehen des Taschen-Spielers ist entweder löblich oder auch verwerfflich. Verwerfflich ist es, wenn man sich dessen gebrauchet eines schändlichen Gewinstes halber andere dadurch zu betriegen. Löblich aber und ergötzlich ist solches, wann es gebrauchet wird bey frölicher, doch Ehrbarer Gesellschafft, umb durch artige List kurtzweilige Lust damit zu erwecken.
Aus einem Zauberbuch (um 1690), Jürgen Göring: Trick um Trick

Die Liebe ist verloren, der große Bruder hat Selbstmord verübt – aus Ernies Leben ist alle Magie verschwunden. Der Zauberkünstler greift zur Flasche, selbst das Handwerk will dann nicht mehr gelingen. Narren illustriert ein trostloses Leben und ist dabei ganz großer Comic.

Abgerissene Quartiere, ramponierte Cafeterien, unter Brücken: Das sind die ausgewählten Orte, an denen Jason Lutes‘ (Berlin, Herbstfall) Graphic Novel spielt. Sie schildert einige Tage aus dem Leben des erfolglosen Magiers Ernie. Die Lesenden werden mitten hinein geworfen in dessen Alltagsmisere. Man erfährt von verpatzten Tricks auf Kindergeburtstagen, erlebt, wie er sich wegen Mietschulden vorm Hausverwalter drückt und reichlich mit dem Teufel Alkohol parliert. Als sein Mentor Al, der immer wieder aus dem Pflegeheim ausbüxt, einmal mehr auf der Flucht vor den Beamten ist, die ihn wieder ins Seniorenheim stecken wollen, schließt sich Ernie diesem an. Mit dem halb-dementen Sonderling unterwegs treffen sie auf einen Trickbetrüger, der seiner Tochter auf den richtigen Weg, eine Karriere als Magierin bringen möchte. Und dann taucht auch Esther, Ernies Verflossene, wieder auf, ihrerseits vor den Behörden fliehend. Überschattet wird das ganze Elend vom Selbstmord des Bruders, eines Befreiungskünstlers, der sich während eines Auftritts das Leben nahm. So wird die Frage nach dem Warum dieser Tat zum Einzigen, was Ernie noch antreibt.

Im klaren Zeichenstil entfaltet sich zwischen den schwarzen-weißen Panelen ein melancholischer Sog. Durch dargestellte Träume, Visionen und Halluzinationen wird das Innenleben der Protagonisten spürbar. Die Wechsel zwischen Positiv- und Negativzeichnungen, Rückblenden und Bildsequenzen, in denen sich nur Details ändern, vermitteln ein intensives Zeitgefühl. Oft wirkt die Bildfolge eingefroren, wie Stills eines Films. Damit entsteht eine Langsamkeit, welche die inhaltliche Tristesse aufnimmt und steigert. Besonders herauszuheben sind die sequentiellen Darstellungen diverser Zaubertricks, etwa wenn aus einem Ei eine Dollarnote hervorgeholt wird oder eine Taube unter einem Zylinder erscheint. Narren ist eine gefühlvolle Abbildung verschiedener Lebenslinien und zugleich die Huldigung an Illusionisten, Täuschungskünstler und Taschenspieler. An jene Magier, die mit wenig Getöse ihre Kunststücke vorführen und deren Können man immer seltener erleben kann. Es ist eine Kritik an den Sensations-Magiern, durch die ein weiteres Handwerk ausstirbt. So meint der greise Al: „Wir wissen beide, dass Zauberei keinen Platz mehr hat in dieser Welt. Es sei denn, du bist ein verdammter Copperfield und lässt im Fernsehen den Eiffelturm verschwinden… Echt subtil, dieser Typ.“ Ganz im Gegensatz zur feinfühligen Erzählkunst Lutes‘, in dessen Milieustudien scheiternde Existenzen zu Gehör kommen, nicht stromlinienförmige Charaktere, die auf die Trostlosigkeit mit einem „Trotzdem!“ antworten.

Jason Lutes: Narren
Graphic Novel
Carlsen
Hamburg 2007
144 S. – 14,40 €
www.carlsencomics.de

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