Die Hohe Kunst des Streichens

Musica Nova: Das Geheimnis des Arditti-Quartett im Gewandhaus

Irvine Arditti in einem Interview am 5. April 1999 in London. Die kurze und einfache Antwort des Gründers des Arditti-Quartetts auf die Frage was ein gutes Stück ausmache beschreibt auf der anderen Seite auch das Dilemma ein Musikerlebnis zu beschreiben. Interessiert sein ist immer etwas sehr Subjektives, abhängig von vielen ganz speziellen Faktoren. Ganz am Anfang steht sicher erst einmal die Bereitschaft sich auf ein Erlebnis einzulassen und gerade bei Neuer Musik etwas Neues zu zulassen. Für diese Bereitschaft steht wohl kein anderes Streichquartett so wie das 1974 gegründete Arditti-Quartett. In über dreißig Jahren wurden mehr als hundert Werke uraufgeführt, viele Stücke sind speziell für das Quartett und in enger Zusammenarbeit mit den Komponisten entstanden. Das Quartett ist in der Lage die komplexeste Musik zu spielen. Nach der Uraufführung der drei Quartette von Ferneyhough hat man sie einmal als „Die Extrembergsteiger der Avantgarde“ bezeichnet.

Nach Auftritten beim Festival Ultraschall in Berlin ist das Arditti-Quartett nun auch in Leipzig zu hören. Der wohlgefüllte Mendelssohnsaal bezeugt das Renommé der Musiker. Sie und das anspruchsvolle Programm haben ungewöhnlich viele Hörer in die ansonsten nur mäßig besuchten Musica Nova Konzerte gelockt. Conlon Nancarrow, György Ligeti, Iannis Xenakis und Helmut Lachenmann sind jeweils mit einem Streichquartett vertreten, eine seltene und äußerst spannungsreiche Gelegenheit sich auf die Herangehensweise von vier sehr unterschiedlichen Komponisten auf die traditionsbeladene Form des Streichquartettes einzulassen. Conlon Nancarrow, der Perfektionist, bekannt für seine Kompositionen für das durch Lochstreifen gesteuerte mechanische Klavier, erarbeitete abseits der musikalischen Welt völlig neue Strukturen zu Rhythmus und Zeitverlauf. György Ligeti im Kontrast ist wohl der Komponist mit dem im wörtlichen Sinne musikalischsten Ansatz. Seine Musik lebt von konkreten klanglichen Vorstellungen, die in verschiedenen Gestalttypen zerlegt und in extremen Wechseln als roter Faden in die Struktur gewoben sind. Gemeinsamer Nenner fast aller Kompositionen von Iannis Xenakis‘ ist die Einbeziehung nichtmusikalischer Ideen, so wendet er zum Beispiel mathematische, geometrische, architektonische oder philosophische Prinzipien beim Komponieren an. Schließlich Helmut Lachenmann, der in seinem Schaffen persönliche Umstände unmittelbar zu verarbeiten sucht, sich diesen Auseinandersetzungen völlig überläßt und dadurch ein fast privates Werk geschaffen hat.

Ein Streichquartett, diese alte und ehrwürdige Besetzung, verlangt von den Musikern gestern wie heute einen grenzenlosen Fluss der unterschiedlichen Energieströme, im Idealfall reagiert das Quartett wie ein sechszehnsaitiges Instrument. In Ligetis 2. Streichquartett stellt sich dieser atemberaubende Zustand auch ein: im 1. Satz ist der Duktus der Musik völlig zerhackt, eine Art galaktischer Störgeräusche pendelt zwischen extrem schnellen und langsamen Gestalttypen. Die „Ardittis“ verlieren keine Sekunde den Faden des Stückes, der im rhythmischen Bereich liegt. Im 2. Satz kommt das Geschehen fast zum Erliegen, durch die Variation winziger Intervalle wird ein verstörendes Flimmern erzeugt. Nach dem 3. Satz, einem Pizzicato-Stück kehren die Aktionen zum Anfang zurück, sehr farbig wird das Geschehen rekapituliert, fast filmisch erklingt die Musik wie aus weiter Ferne.

Dann Xenakis‘ Tetras, ein Sprung wie er größer nicht sein könnte: Keine polyphonen Entwicklungen, das Stück ist in klar abgegrenzte Statements zerlegt. Die Kontraste sind groß und bauen riesige Spannungsbögen auf. Nach dem sirenenhaften, fast kreischenden Beginn lösen sich immer mal wieder assoziative Fetzen aus dem Glissando-Dickicht. Linien werden leicht verschoben, man spürt den naturwissenschaftlichen Ansatz sich entwickelnder Reihen. Brachial gestrichen entstehen rhythmische Attacken gegen zarte auf- und abwärtslaufende Linien.

Mit grenzenloser Energie und höchster Virtuosität meistert das Arditti-Quartett auch nach der Pause Lachenmanns Grido. Das ist die Musik eines Suchenden ohne die unmittelbare Direktheit von Xenakis‘, wobei sich im Duktus der Musik doch Gemeinsamkeiten ergeben. Schnarzende Geräusche erzeugen eine beunruhigende „Klangsuppe“, auch hier lösen sich aus dem flächenhaften Grund dumpfe Melodiefetzen.

Die Bravos und der Jubel am Ende würden auch einer Rockband zur Ehre gereichen. Verdienter Abschluss eines faszinierenden Kaleidoskops über das Geheimnis Streichquartett.

MUSICA NOVA
Ligeti & Arditti

Conlon Nancarrow: 3. Streichquartett
György Ligeti: 2. Streichquartett
Iannis Xenakis: Tetras
Helmut Lachenmann: 3. Streichquartett (Grido)
Arditti-Quartett
Violine Irvine: Arditti & Ashot Sarkissja
Viola: Ralf Ehlers
Violoncello: Lucas Fels

30. Januar 2008, Gewandhaus Mendelssohnsaal

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