Zwischen Tanz und repräsentativem Zeigetheater: Konstanze Lauterbach inszeniert „Die Tochter der Luft” (Alessa Paluch)

Calderón de la Barca: Die Tochter der Luft
In der Bearbeitung von Hans-Magnus Enzensberger
Schauspiel Leipzig, Schauspielhaus
Regie: Konstanze Lauterbach
Dramaturgie: Barbara Noth
Mit: Eva Müller, Ellen Hellwig, Dieter Jaßlauk, Matthias Hummitzsch, Aleksandar Radenkovic, Gilbert Miroph, Torben Kessler, Stefan Kaminsky u.a.
Premiere: 1. Februar 2008


Zwischen Tanz und repräsentativem Zeigetheater: Die Tochter der Luft

Konstanze Lauterbach gehört zu den wenigen großen Regisseurinnen Deutschlands. Nun hat sie sich am Schauspielhaus Leipzig einer weiblichen Mythenfigur des Theaters zugewandt. Der Stoff um die Babylonerbauerin und schlimme Despotin ist alles andere als eingängig. Hans Magnus Enzensberger hat das barocke Mammutwerk Spaniers Calderón de la Barca bereits sehr viel kürzer und eingängiger gefasst. Am Schauspielhaus wird es zu einem rasanten Lehrstück über Gewalt, Macht, Freund und Feind.

Semiramis (Eva Müller), der durch Gewalt gezeugten Tochter der Luft, ist ein böses Schicksal prophezeit worden: Sie werde Tod und Verderben bringen, weshalb sie wie ein Tier in einer Höhle gefangen gehalten wird. Aufgrund ihrer Schönheit jedoch wird sie von Menon (Aleksander Radenkovic), dem Feldherrn Syriens, befreit. Diesem wird schnell bewusst, dass diese Frau vor der Welt besser geheim gehalten werden sollte und will sie ganz für sich. Damit baut er Semiramis ein neues Gefängnis, in dem sie immer wieder nach Lebensluft ringt. Als sie Menon heimlich in die syrische Hauptstadt Ninive folgt, verliebt sich König Ninus (Gilbert Miroph) in sie. Ein eifersüchtiger Zwist bricht zwischen diesem und Menon aus. Vor die Wahl des Freiers gestellt, entscheidet sich Semiramis für die Macht, für die Ehe mit dem König. Menos wird geblendet und verbannt.

Dieser erste Teil erzählt, wie die Gewaltherrscherin Semiramis wurde, was sie ist. Bei Lauterbach zeigt sich das Leid der jungen, unfreien Frau und die Leidenschaft, die diese entfacht, vor allem in einem weinerlich-verzweifelten Grundton. Jedes Wort ist bedeutungsgeschwängert, jede Bewegung eine Geste. Das wird schnell anstrengend und lässt die Befürchtung aufkommen, dieser Leidenston werde vielleicht die nächsten Stunden anhalten. Hier helfen auch nicht jene bereits von Enzensberger eingesetzten alltagssprachlichen Versatzstücke wie ein salopp dahergesagtes Tschüss oder ähnliches. Gelacht wird über diese doch anbiedernd wirkenden Auflockerungen trotzdem. Die einzigen geraden Töne ohne Lächerlichkeit finden sich im Streitgespräch zwischen Menon und Ninus, nachdem beiden bereits klar ist, dass letzterer die Frau seines Untertans besitzen möchte. Die Großkotzigkeit Ninus‘, die Giftigkeit Menons und die Art und Weise wie beide aufeinander prallen und diskutieren sind ein schauspielerischer Genuss.

Der zweite Teil spielt zwei Dekaden später. Semiramis (nun: Ellen Hellwig) hat ihren Gatten schon vor Jahren vergiftet und die Macht an sich gerissen. Ihre Schreckensherrschaft funktioniert einwandfrei, ihre beiden Feldherren (Torben Kessler & Stefan Kaminsky) folgen gehorsam und tun alles für sie. Königskinder unterworfener Länder hält sie sich als Dienerinnen und Diener. Doch schließlich formiert sich Widerstand im Volk. Es fordert Semiramis‘ Sohn Ninyas (auch: Eva Müller) als neuen König. Dieser wird von seiner Mutter gefangen gehalten, weil er ihr zwar äußerlich gleicht, aber in seinem Innern ihr pures Gegenteil, also gutmütig und milde ist. Mit einer List schafft Semiramis es dennoch an der Macht zu bleiben, wenn auch in Gestalt ihres Sohnes, der dem Anschein nach den Despotismus seiner Mutter geerbt hat.

Ellen Hellwig als Semiramis ist nicht ganz richtig besetzt. Kennt und schätzt man diese Frau gerade in den schwachen, gebrechlichen, nicht ganz normalen weiblichen Rollen (als Peer Gynts Mutter, oder in Petras‘ Alkestis, mon amour), fällt es schwer, sie als schreckliche Tochter der Luft wirklich ernst zu nehmen, auch wenn man ihr die Rolle eigentlich gönnt. So ist zum Beispiel die Szene, in der Semiramis die Beleidigte spielt und vorgibt zu Gunsten ihres Sohnes abzudanken, zugleich witzig und süß: Wie ein Ungeheuer gebiert sich diese kleine Frau. Das Zittern der Feldherrn vor ihrer Wut wirkt dementsprechend recht behauptet.

Leider hat Lauterbach auf keine Nuance der Interpretationsmöglichkeiten verzichten wollen. Die Konzentration auf ein oder auch zwei Themen, die dem Stück inhärent sind, hätte sicherlich zu einem pointieren Ergebnis geführt. In der vorgelegten Inszenierung ist das Stück sehr komplex. Umso anstrengender für die Zuschauer sind die ständigen Szenenwechsel. Alle paar Minuten wird auf der Bühne (Bühnenbild: Kathrin Frosch) von einer Schar Requisiteuren ab- und aufgeräumt, Neues installiert. Die Fülle der wechselnden Ausstattung lässt die ganze Inszenierung schnell als Spektakel dastehen. Anscheinend ist das in Bezug auf die barocke Vergangenheit des Stoffes tatsächlich beabsichtigt. Auch die ausgestellte Sprachlichkeit und die manierierte Bewegungsweise zwischen Tanz und repräsentativem Zeigetheater können wohl ebenfalls darauf und auf Lauterbachs etablierte Handschrift zurückgeführt werden. Wer solche dargestellte Künstlichkeit als magisches Theater betiteln mag, ist mit diesem Abend wirklich gut bedient.

(Alessa Paluch)

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