Juris Zufallsgenerator

„Die Planeten” mit dem Jugendsinfonieorchester und dem MDR Sinfonieorchester als Familienkonzert

Juri Tetzlaff, seit 1997 Moderator bei KI.KA, ist den vielen jungen Zuhören im heutigen Familienkonzert scheinbar gut bekannt, von Anfang an greift seine Moderation, welche irgendwie so geht: „Willkommen auf unserer gemeinsamen Reise im Raumschiff Gewandhaus, Käpt´n Jun Märkl wird uns heute durch die Galaxien führen, ist doch supi?“ Bei „außerordentlichen“ Ereignissen müssen die Zuhörer durch Trampeln und Zischen das Raumschiff wieder auf Kurs bringen. Juris Lieblingsfarbe ist Rot, deshalb hat er auch einen knallroten Pullover an.
Das Jugendsinfonieorchester der Leipziger Musikschule „Johann Sebastian Bach“ unter der Leitung von Ron-Dirk Entleutner zählt zu den besten Jugendsinfonieorchestern Europas und ist seit 2004 Bundespreisträger des Deutschen Orchesterwettbewerbes. Auftakt für die Zusammenarbeit mit den MDR-Musikern war im Februar 2006 das Konzert Shakespeare in der Musik. In dieser Spielzeit haben die Profis mit den jungen Musiker gemeinsam Gustav Holsts The Planets einstudiert. Holst komponierte das Stück in den Jahren 1914 bis 1916 für ein großes Sinfonieorchester unter dem unmittelbaren Einfluss des Buches What is a Horoskope? von Alan Leo. Alan Leo alias William Frederick Allan beschreibt in seinem Buch die angeblichen Wirkungen der sieben damals bekannten Planeten auf den Menschen. In einer bis dahin nicht dagewesenen riesigen Orchesterbesetzung schuf Holst eine faszinierende Vertonung astrologischer Charakterbilder, welche schnell Kultstatus erreichte. Die intensive Wirkung auf den Zuhörer entsteht vor allem durch die monumentalen Klangeffekte und die Klangfarben. Die filmmusikalischen Qualitäten erklären die vielfältige Adaption des Stückes in der populären Musik: So zitiert Frank Zappa 1967 das Thema des Jupiter-Satzes, das Mars-Thema bildet 1977 gar die Grundlage der Filmmusik zur Star-Wars-Trilogie. Aber auch noch heute ist Holsts Stück Quelle der Inspiration: Die schwedische Metal-Band Bathory verwendete 1991 das Thema von Jupiter, die britische Metal-Band Iron Maiden spielte einen Teil aus Mars als Intro bei ihrer Tournee 2006.

Der Kriegsbringer Mars beginnt in einer kaum vergleichbaren rhythmischen Brutalität. Mit dem Holz des Bogens erzeugen die Bässe perkussive Strukturen, nachdem dann alle Streicher des wohl gut über hundertköpfigen Orchesters dazu gestoßen sind, entfaltet sich der gesamte Klangapparat, Orcherstertutti folgt auf Orchestertutti. Jun Märkl agiert wie ein Magier mit dem ganzen Körper in dem Astralgewitter. Das Orchester mit den jungen Musikschülern entfaltet eine physische Qualität. Im zweiten Satz Venus können die acht Schlagzeuger erstmal Luft schöpfen, ruhige Melodien, auch kurze Soli der heute wieder sehr überzeugenden Konzertmeisterin Waltraut Wächter werden von den Hörnern gestützt. Dramaturgisch ist die lyrisch-ruhige Stimmung nach dem wilden Mars doch etwas schwierig, der zweite Satz reduziert sich so fast nur als Übergang zum folgenden Merkur.

Spätestens hier beginnt die Moderation den Hörgenuss zu beeinflussen, leider negativ! Weshalb muss nach jedem Satz ein Scherz den nächsten jagen, weshalb die krampfhafte Suche nach herbeigezogenen Vergleichen? Die Projektion eines DHL-Transporters – Merkur, der Götterbote – ist der Gipfel dieses Erklärungsreflexes. Der Strom der Musik geht verloren und die eifrigen Erstklässler bekommen den Eindruck, Klassik im Gewandhaus zu hören ist doch eigentlich wie KI.KA schauen, immer schön lustig! Gerade wer die Ernsthaftigkeit von kleinen Kindern kennt, sich mit neuen Phänomenen zu beschäftigen, kann sich über diese Art Show-Business nur wundern. Freilich werden sich angesichts dieser kritischen Worte wieder die Schreiber in den Foren in Stellung bringen: von „arrogant und überheblich“ bis „das Publikum entscheidet doch“ wird das Spektrum der Vorwürfe reichen. Doch jetzt mal ehrlich! Wo, wenn nicht im Gewandhaus, können die Kinder an die klassische Musik herangeführt werden. Muss es dabei nicht darum gehen die Besonderheiten herauszuarbeiten, die ein Konzert bietet? Musik live zu erleben ist doch nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Genuss und die Hingabe an das schöne Jetzt, an die ganz spezielle Aufführung und Interpretation eines originären Kunstwerkes. Dieses Einlassen bedarf der behutsamen Heranführung. Durch die gnadenlose Durchmoderation, welche auch vor Jun Märkl nicht haltmacht, wird es unmöglich The Planets im Zusammenhang zu erleben, wobei doch gerade dieses spannungsreiche Stück die Chance bietet, die Konzentration von Kindern über längere Zeit zu binden. Aber was soll’s, am Ende gibt es natürlich noch was zu gewinnen, da zu viele Kinder die Fragen beantworten können muss mittels Juris Zufallsgenerator, Armeschlenkern mit Trommelwirbel, der Glückliche bestimmt werden.

Die Planeten – Familienkonzert

Gustav Holst (1874-1934)
The Planets – Suite for large orchestra, op. 32 (1914-16)
MDR SINFONIEORCHESTER
Jugendsinfonieorchester Leipzig
Einstudierung: Ron-Dirk Entleutner
Dirigent: Jun Märkl
Moderation: Juri Tetzlaff

23. Februar 2008,Gewandhaus Großer Saal

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