Bad boy of music?

HK Gruber dirigert dasMDR Sinfonieorchester und den MDR Rundfunkchor

George Antheil, am 8. Juli 1900 in Trenton, New Jersey, als Sohn deutscher Eltern geboren, gehört zu den Neueren, deren Werke vom Jazz beeinflusst sind, außerdem experimentierte er mit Geräuschen der Alltags- und Maschinenwelt. 1945 erscheint seine Autobiographie Bad boy of music, damals das Verwegenste, was im Genre der Musikermemoiren bisher geleistet wurde. Die Wahrheiten dieses Lebensberichtes sind so erstaunlich wie seine Flunkereien amüsant. Seit 1923 sprach ‚tout Paris‘, wo er sich für zehn Jahre aufhielt, von seinem Klavierspiel und seinen Kompositionen und wartete begierig auf den nächsten Skandal. Es stimmt, dass er auch und gerade bei Konzerten eine Pistole im Schulterhalfter trug, dass Ezra Pound ein Buch über ihn geschrieben hat. Sein Freundeskreis war gleichsam die Pariser Kunstszene: Strawinsky und Picasso, Joyce und Léger, Cocteau und Hemingway. Mit seinen Maschinensonaten fegte er die milden Unartigkeiten der Pariser Groupe de Six ebenso beiseite wie den ordentlichen Neoklassizismus, den seine Landsleute Copland, Thomson und Piston derweil bei der berühmten Nadia Boulanger lernten. Nach seiner Rückkehr in die USA 1933 schreibt Antheil Filmmusik, gibt Hedy Lamarr Ratschläge zur Vergrößerung ihrer Brüste, während sie den ferngesteuerten Torpedo erfindet, verfasst einen Kriminalroman und Zeitungskolumnen über Liebe, Politik und Astronomie. Antheil stirbt noch nicht sechzigjährig 1959 in New York. „Schade,“ möchte man sagen angesichts eines solcherart inspirierenden Schaffens, schade auch, dass auf dem heutigen Programm nicht ein Skandalstück wie Antheils Ballet mécanique für acht Klaviere, Flugzeugpropeller, Türklingeln und Sirenen steht, dessen Premiere 1925 in Paris mächtigen Wirbel verursachte und Antheil zu dem Avantgardisten machte.

Die 5. Sinfonie, sozusagen ein Alterswerk, ging nach der Uraufführung 1949 in Amerika als „fröhliche Sinfonie“ in die Musikgeschichte ein, eine große Nähe zum Tonfall Schostakowitschs wurde dem Werk damals bescheinigt. Mit einem Trommelwirbel beginnt der erste Satz, fast polternd empfindet man die kompakten Bläsersätze. Es entsteht eine hohe Dynamik, welche irgendwie steril daherkommt oder in Antheils Sprache: mechanisch. Der zweite Satz haucht dem Stück dann epische Tiefe ein, filmisch werden sehr assoziative Landschaften aufgespannt. Das Fagott stört diese Ruhe, der Bad Boy klopft wieder an die Pforte, um sich im dritten und letzten Satz wieder richtig auszutoben. Locker hoch- und runtertransponiert stellt sich auch hier wieder ein eher technischer Eindruck her, fast blutleer könnte man die Stimmung bezeichnen, welche HK Gruber in einer ruhigen Art erzeugt und damit dem Ansatz des Komponisten Antheil in einer sehr originellen Art gerecht wird.

Und damit zum Dirigenten des heutigen Abends. HK Gruber, eine der faszinierensden Persönlichkeiten der zeitgenössigen Musikszene würde sich selbst wohl nicht als bad boy of music bezeichnen, dass er sich gerne so wahrgenommen fühlt, darf man wohl unterstellen. Seit den sechziger Jahren fegt das Multitalent aus Wien durch die Musikwelt. Sein Stil ist unverwechselbar. In einer erfrischend undoktrinären Art verbindet er so unterschiedliche Einflüsse wie Berg, Strawinsky, Kabarettsongs und Popmusik, aber richtig gruberts erst mit seiner sehr persönlichen Note schwarzen Humors und einer unvergleichlichen Wiener Gelassenheit allen -Ismen gegenüber. HK Gruber ist Artist-in-Residence beim diesjährigen Kurt-Weill-Fest in Dessau. Dort konnte man ihn auch am Sonntag in einem Gesprächskonzert hautnah erleben und über sein Verhältnis zu Kurt Weill plaudern hören. Kurt Weill ist für ihn eine Schlüsselfigur, seit er 1963 eine Schallplatte mit Aufnahmen von Weill in Wien aufstöberte. Kurt Weill war und ist für ihn die Kompassnadel gegen „die dogmatischen Strömungen Donaueschingens und Darmstadts“. Mit emphatischem Tonfall wirbt er für „Respekt vor der Einfachheit“ und bezeichnet Weills Schaffen als „einfach aber nicht banal“. Sehr glücklich war er, als er Lotte Lenya in Amerika noch kennen lernen durfte, und erzählt mit spitzbübiger Freude, wie er sie dazu gebracht hat mit ihm Deutsch respektive Wienerisch zu reden. HK Gruber sozusagen Weill-Kenner par excellence heute mit diesem Programm erleben zu können, ist ein ganz großes Erlebnis!

Der Lindberghflug besteht aus fünfzehn Szenen und berichtet über die erste Atlantiküberquerung Charles Lindberghs. Jede Szene wird durch zum Teil subtile Humoresken eingeleitet. HK Gruber spricht diese Worte mit der ihm typischen Freude am schwarzen Humor und Verfremdungseffekten: „Die Stadt New York befragt die Schiffe“ oder „Lindberghs Gespräch mit seinem Motor“. Mit hymnisch schneidenden Chorgesang beginnt das Stück: „Hier ist der Apparat! Steig ein! In Europa erwatet man dich!“. Der MDR-Chor ist sofort auf dem Punkt und treibt das Stück zur sichtbaren Freude von HK Gruber mit einer unbändigen Strahlkraft voran, besonders in der zehnte Szene: a capella erreichen die Damen und Herren eine berührende Qualität. Der Weill-Sound mit großem Bläsersatz und jazzigen Klavierpart setzt sich auch im folgenden Stück The Ballad of Magna Carta fort. Dem Text Andersons liegt eine alte Ballade zugrunde: 1215 revoltiert der englischen Adel gegen die Willkürherrschaft des Königs Johanns und zwingt ihn die Magna Carta Libetratum anzuerkennen, welche dem Adel umfassende politische Freiheiten zubilligt. Das Stück, 1940 uraufgeführt, kann als Aufruf zum aktiven Eingreifen gegen Nazideutschland gelesen werden, zu einer Zeit als Amerika nicht im Entferntesten an eine Intervention jenseits des Atlantiks dachte. Dem Stück ist besonders im letztem Teil seine geografische Herkunft deutlich anzumerken, in die Freude über den Sieg über Johanns mischt sich deutlich Swing, so deutlich, dass bei Proben zur Uraufführung Putzfrauen angefangen haben sollen zu tanzen. Tribut an den Broadway oder nicht, ein Stück mit hohem Unterhaltungswert und in der Interpretation von HK Gruber, der wieder Brüche, Grotesken und Verfremdungseffekte herausarbeitet, ein fesselndes Stück Zeit- und Musikgeschichte.

Bad boy of music?

Kurt Weill: Der Lindberghflug . Cantata for tenor, baritone, and bass soloists, chorus and orchestra, Text: Bertold Brecht
Kurt Weill: The Ballad of Magna Carta. Cantata for Mixed Choir, Narrator, Solo Voices and Orchestra, Text: Maxwell Anderson
George Antheil: Sinfonie Nr. 5
MDR Sinfonieorchestern, MDR Rundfunkchor
Dirigent: HK Gruber
Tenor: Oliver Ringelhahn
Bariton: Egbert Junghanns

4. März 2008, Gewandhaus Großer Saal

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