Quicklebendiger Evergreen: „Hello, Dolly!” (Sebastian Schmideler)

Hello, Dolly!
Musikalische Komödie
Buch: Michael Stewart
Musik & Gesangstexte: Jerry Herman
Mit: Marianne Larsen, Karl Zugowski, Alexander Voigt, Sebastian Römer, Corinna Ellwanger, Mirjam Neururer, David Ameln
Inszenierung: Kay Link
Bühne: Olga von Wahl
Kostüme: Tobias Sieben
Choreografie: Mirko Mahr
Musikalische Leitung: Stefan Diederich
Chor, Ballett, Orchester der Musikalischen Komödie


Ein Hauch vom Broadway in L.E. – Hello, Dolly! in der MuKo

Da ist sie wieder: Die ewig lächelnde unbeugsame Frau, die Diva der guten Laune und des unausrottbaren Optimismus, die personifizierte vita activa des amerikanischen Entertainments. Der ganze Club „Harmonia Garden“ liegt ihr Helllo, Dolly singend zu Füßen, wenn die gesprächige Witwe und gewiefte Heiratsvermittlerin Dolly Levin wieder selbstbewusst zurück ins Broadway-Leben kehrt und dabei all ihren Charme spielen lässt, den sie braucht, um vertrackte Verkuppelungen zu arrangieren, komplizierte Netze der Liebe zu spinnen und – wie sie selbst sagt – „Geld wie Regenwasser herumplätschern zu lassen“. Wie Dolly da die legendäre Treppe herab schreitet und kokett ihren alten und neuen Bekannten zuwinkt, ist immer noch von einer solchen Eindrücklichkeit, dass die Verve und das Sinnbild dieser Szene nach wie vor fasziniert. Denn dieser Auftritt schrieb Mitte und Ende der sechziger Jahre Musicalgeschichte, und das nicht nur in New York, wo das Stück allein 2844 Vorstellungen ensuite erlebt hat. Auch in Deutschland, auch in der DDR, auch in Leipzig, löste das Musical und die Verfilmung damals ein wahres Dolly-Fieber aus. Nun kehrt Dolly wieder in Leipzig ins gesellschaftliche Leben zurück. Am 16. März 2008 war Premiere in der MuKo.

Die Befürchtung, dass der Zahn der Zeit auch an diesem mittlerweile altehrwürdig gewordenen Musical nagen könnte, bleibt zumindest bei dieser Inszenierung völlig unbegründet. Es ist geradezu erstaunlich und völlig überraschend, was man alles aus einem solchen Evergreen herauskitzeln kann, wenn man die richtigen Leute engagiert und es versteht, das Zeitlose zeitgemäß zu sagen. Und das ist in Leipzig zweifellos geschehen. Denn hier ist es vorzüglich gelungen, Hello, Dolly! als ein munteres und quicklebendiges Stück beeindruckendes Musiktheater aufzufassen. Das bedeutete vor allem, dieses Musical als Genrekomödie zu inszenieren – als pointenreiches, dialogisierendes Sprechtheater mit Gesangseinlagen, Ballett, Chören usw., die sich seit dem 18. Jahrhundert als unverzichtbare Bestandteile des Schauspiels herausgebildet haben. In puncto Sprechtheater wurde in dieser Inszenierung wirklich ausgezeichnet gearbeitet: Die Pointen sitzen nicht nur sicher, sie gehen größtenteils wie bruchlose Rechnungen auf und wirken überwiegend so pfiffig, als seien sie erst gestern erfunden worden. Die Dialoge sprühen vor Einfallsreichtum und Witz und haben hier den wünschenswerten Drive, weil sie mit gekonnter Genauigkeit und gestrafft vorgetragen und inszeniert worden sind und weil sie wirklich komisch sind. Mit Hilfe von Mathematik, gut ausgeklügelter Choreografie und dem nötigen Quantum an scheinbar spielerischer Leichtigkeit gelingt es den Ausführenden an diesem Abend, das Publikum aufs Beste zu unterhalten. Die gewitzten und federleichten Sprechpassagen haben nicht den leisesten Anflug des Gequälten, Angestrengten oder gar Langweiligen, das an dem hölzernen Konversationston von so mancher Operette inzwischen als verstaubt oder störend empfunden wird.

So avanciert diese Hello, Dolly! insbesondere zu einem beeindruckenden Beispiel für zungenfertiges und bewegungsfreudiges Boulevardtheater mit großem Unterhaltungswert. Aber so richtig rund kann die Sache erst werden, weil das Ineinandergreifen von Kay Links durchweg origineller, professioneller und sachkundiger Regie mit dem einfallsreichen Bühnenbild von Olga von Wahl und den farbenfrohen Kostümen von Tobias Sieben hier im Zusammenklang mit Schauspiel, Gesang, Ballett, Chor und Orchester unter der Leitung des sichtlich begeisterten Stefan Diederich fast idealtypisch funktioniert. Jeder sorgt in seinem Bereich dafür, das Ganze zu einem Gesamtkunstwerk der gelungenen Unterhaltung zu machen. Der Zuschauer spürt in jeder Minute, dass in dieser Inszenierung gut und präzise gearbeitet wurde. Das erfolgreiche Bemühen um darstellerische Perfektion ist dem präsentierten Ergebnis anzumerken.

Regisseur Link verlegt das Stück in die wilden sechziger Jahre, verpackt es ansprechend mit Accessoires, Kleidungsstücken und Details aus diesem Jahrzehnt. Er arbeitet mit Anspielungen auf Angela Davis, auf die Hippie-Bewegung der Protestgeneration, dem Schrei nach freier Liebe und all den anderen Klischees, die wir heute mit dieser inzwischen historisch gewordenen Zeit verbinden. Die berühmte Szene – Dollys Auftritt im „Harmonia Garden“-Club im zweiten Teil – ironisiert Link geschickt. Denn er entdramatisiert die zu befürchtende Erwartungshaltung des Publikums, indem er die Kulisse derart mit Kitsch, Klimbim und Klischees, mit Flitterkram und Sonne, Mond und Sternen überhöht, dass auf diese Weise die nötige Gebrochenheit entstehen kann, die diese immer wieder gehörte Szene neu und selbst für kritische Nörgler erträglich macht. Außerdem versteht Link es im Einvernehmen mit der temporeichen Choreografie von Mirko Mahr besonders gut, die großen Revue-Auftritte mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln auf die Verhältnisse der Guckkastenbühne im Dreilindensaal zu übersetzen und zwar immer so, dass der Zuschauer das Gefühl hat, Teil einer großen, mitreißenden Bewegung, einer überwältigenden Aktion zu sein, die gekonnt vorgibt, mehr zu sein als sie tatsächlich ist – die große Illusion des Theaters wird hier spürbar und zieht die Leute unverkennbar in ihren Bann. Besonders gelungen ist überdies auch die Reiseszene nach New York im ersten Teil: Wie sich der Bahnhof in einen Zug, der Zug wieder in einen Bahnhof verwandelt und aus den Waggonteilkulissen kurzerhand – wenn sie umgedreht worden sind – große Reisekoffer werden, das ist Teil des originellen Konzepts, das die Bühne ständig in Bewegung hält und immer wieder neue Einsichten und Einblicke vermittelt. Dieser vorwärtsdrängende Ideenreichtum beweist, wie Bühnenkonzeption und Regie mit viel Phantasie und Originalität aus einer Genreszene mit Versatzstücken einen schwungvollen, energiegeladenen und einprägsamen Höhepunkt der Inszenierung schafft. Mit einem Reigen ähnlich guter Ideen bewegt sich der gesamte Bühnenablauf schließlich zielsicher auf den Höhepunkt zu ohne dabei in wildem Aktionismus auszuarten. Immer ist das wünschenswerte ausgewogene Mischungsverhältnis von Bewegung und Ruhe gewahrt. Insgesamt ist diese Inszenierung ein wunderbares Beispiel dafür, was alles sich mit einem Musical wie diesem machen lässt, wenn Regie, Bühne, Kostüm und Ausführende an einem Strang ziehen und so gekonnt miteinander korrespondieren. – In dieser Hinsicht könnte die große Schwester vom Augustusplatz noch mancherlei von der Musikalischen Komödie lernen.

Hello, Dolly! ist in Leipzig zunächst wegen der flott choreografierten Tanz- und Balletteinlagen, wegen der schwungvollen Bühnenbildübergänge, der prächtigen und bunten Kostüme ein Erlebnis für das Auge. Es ist wegen des Komödiencharakters aber auch ein Erlebnis für das auf Schauspiel konzentrierte Ohr. Vor allem Marianne Larsen als Dolly lässt das enorme schauspielerische Potenzial, das diese wirklich dankbare Rolle im Musicalfach bietet, mit keiner Silbe ungenutzt. Sie versteht es vorzüglich, Dollys durchaus großartigen Charakter unprätentiös, liebenswürdig und mit der nötigen Begeisterungsfähigkeit in Szene zu setzen und die Zuschauer für sich derart einzunehmen, dass man versucht ist, sie als eine Idealbesetzung der Dolly zu sehen. Gleiches gilt auch für die pointiert ausgelotete Rolle der geizigen alten Krämerseele Horace Vandergelder, die hier Karl Zugowski verkörpert. Auch die weiteren Haupt- und Nebenrollen sind allesamt so gut besetzt, dass sie einen Abend von geradezu filmischer Qualität garantieren, weil sich alle in den Dienst eines reibungslos funktionierenden Mechanismus stellen, der durch seine geschickt aufgehenden Pointen impulsiv und lebensvoll wirkt. Das MuKo-Orchester unter Stefan Diederich verzaubert den Dreilindensaal als Voraussetzung dafür überzeugend in Broadway-Atmosphäre. Das Ballett läuft zu Höchstleistungen auf, auch die Massenszenen laufen bestens. Die instinktsichere Professionalität, mit der die MuKo das Genre Musical erfolgreich zu bedienen versteht, hat sich an diesem Abend wieder einmal in besonderer Weise gezeigt. Hier liegt eine Regie-, Bühnen- und Choreografiearbeit vor, die alle Möglichkeiten des Ensembles und des Genres zu nutzen verstand. Das sah auch das Publikum so: Kräftiger, nicht enden wollender Jubel und Applaus, sogar stehende Ovationen gab es deshalb am Ende zu Recht für alle Beteiligten. Es bleibt aus diesem Grund nur eins, was man sich und dem Ensemble insbesondere von diesem Inszenierungs-Team wünschen kann: wiederkommen und weitermachen!

(Sebastian Schmideler)

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