Der Zauber in Wien

Die Wiener Philharmoniker spielen Beethoven unter Leitung von D. Barenboim

Das Theater an der Wien hat eine lange Beethoven-Tradition. Viele seiner Werke wurden hier uraufgeführt, von 1803 – 1805 war Beethoven sogar, wie wir heute sagen würden, composer-in-residence. Auf den Tag genau vor 205 Jahren spielte Beethoven sein drittes Klavierkonzert selbst im Theater an der Wien, im Rahmen einer ihm zu Ehren veranstalteten Akademie. Die Aufführung war vermutlich die Uraufführung, der Dirigent Ignaz Xaver von Seyfried, von Beethoven gebeten ihm umzublättern, berichtet darüber:
„Beim Vortrage seiner Concert-Sätze lud er mich ein, ihm umzuwenden: aber – hilf Himmel! – das war leichter gesagt als gethan; ich erblickte fast lauter leere Blätter; höchstens auf einer oder der anderen Seite ein paar, nur ihm zum erinnernden Leitfaden dienende, mir rein unverständliche egyptische Hieroglyphen hingekritzelt; denn er spielte beinahe die ganze Prinzipal-Stimme blos aus dem Gedächtniß, da ihm, wie fast gewöhnlich der Fall eintrat, die Zeit zu kurz ward, solche vollständig zu Papiere zu bringen.“ Mittlerweile ist die Literatur von Beethoven natürlich längst ausreichend verlegt, das Thema Umblättern hat Daniel Barenboim auf seine Weise gelöst: er dirigiert und spielt das komplette Programm gleich aus dem Gedächtnis.

Der Beginn des Programms, das Andante Cantabile, gelingt Daniel Barenboim und den Wiener Philharmonikern schon auf eine betörende Weise. Subtil arbeitet Barenboim das innige, liedhafte Thema heraus, immer wieder bremst er die vorwärts drängenden Musiker zum piano. Das eher kleine, intime Haus verträgt diese Art der Interpretation akustisch auf trefflichste, zauberhaft entwickeln sich die Stimmen, besonders die butterweichen Holzbläser und die singenden Bratschen umschmeicheln das Publikum.
Die beiden Klavierkonzerte, längst Evergreens der E-Musik, sind in Zeiten eines Höher-Schneller-Weiter mit Höchstleitungsinterpreten wie Lang Lang häufig auf den internationalen Spielplänen präsent. Daniel Barenboim, der in den fünfziger Jahren sein internationales Debüt als Pianist feiern konnte, vertritt da eine gänzlich andere Kultur. Sein Spiel ist geprägt von einem tiefen Verständnis für die Partitur, seine ruhige Art des Musizierens ist offen für die Entwicklungen des Orchesters, die er oft durch kleine Eigenwilligkeiten selbst provoziert. Da gerät eine Pause einen Augenblick zu lang, ein technisch schwieriger Lauf gefriert plötzlich, um sich dann mit gesteigerter Intensität weiter zu entwickeln. Diese winzigen Brüche schaffen eine knisternde, ja oft auch humorvolle Atmosphäre, schmunzelnd wartet man auf Barenboims nächste kleine Überraschung.

Interessant ist dieses Konzert auch in der augenblicklichen Diskussion um den Giganten Karajan, dem Fanatiker und Verfechter eines unbedingten Starkultes, dem (fast) jedes Mittel recht war, wenn es darum ging seinen Einfluss zu vergrößern und musikalische Ziele zu erreichen. Daniel Barenboim dagegen nutzt seit jeher seinen künstlerischen Einfluss, um politisch mitgestalten zu können. Einzigartig die Gründung des West – Eastern Divan Orchestra 1999. Junge Palästinenser und Israelis musizieren gemeinsam in einem Orchester und tragen damit vielleicht mehr zum Friedensprozess bei als die unzähligen Reisen, welche amerikanische und europäische Politiker in den letzten Jahren unternommen haben. Irgendwie gehört das bei Daniel Barenboim alles zusammen, seine ganze Erscheinung strahlt so ein tiefes Grundverständnis aus, für die Musik sowieso, aber in den letzten Jahren auch immer mehr ein Verständnis für menschliche und politische Tragödien. Und von Starkult fehlt bei Daniel Barenboim jede Spur. Dazu passt auch, dass man ihn eine Nacht zuvor einfach allein durch die Straßen Wiens spazieren sieht.

Andante Cantabile aus op. 97 (orchestriert von Franz Liszt)
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37 (1803)
Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58 (1807)
(Ludwig van Beethoven)

Wiener Philharmoniker
Klavier & Musikalische Leitung: Daniel Barenboim

6. April 2008, Theater in Wien

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