Coming-on-Stage: Clemens Meyers „Als wir träumten” (Tobias Prüwer)

Als wir träumten
Clemens Meyer, bearbeitet für die Bühne von Armin Petras und Carmen Wolfram
Schauspiel Leipzig, Neue Szene
Regie: Armin Petras
Mit: Anja Schneider, Marl?ne Dunker, Carolin Conrad, Hanna Eichel, Anika Baumann, Maria Doubs, Berndt Stübner
Uraufführung: 13. April 2008


Coming-on-Stage: Als wir träumten

Nimm dir was du willst
Solang du nur noch kannst
Verschwende deine Jugend
DAF: Verschwende deine Jugend

Man kommt dieser Tage selten an Clemens Meyer vorbei, dem Leipziger Stadtteil(be-)schreiber. Erst im März hat er den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen jüngsten Kurzgeschichtenband abgeräumt. Nun wird sein Entwicklungsroman der unkonventionellen Art in der Neuen Szene auf die Bühne gehoben.

Wir erinnern uns: Meyers 2006 erschienenes Romandebüt Als wir träumten handelt von einer Jugend-Clique in der Leipziger Nachwendezeit. Im maroden Südosten der Stadt bewegen sich Dani und seine vier Kumpels durchs kleinkriminelle Milieu. Stets adrenalindurstig auf der Suche nach dem nächsten Kick, stolpern die Underdogs durch Saufgelage, gehen auf Klautour und suchen mit den Fäusten nach Respekt. Sie träumen vom Leben und erfahren das Scheitern als bestimmenden Grundzug ihres Daseins.

Wie nun adaptiert man diese Melange aus Hoffnung und Tristesse, Freiheitsdrang und Verlorenheit für das Theater? Kann man überhaupt einen 516-Seiten-Wälzer zu einem Stück verdichten? Man kann. Regisseur Armin Petras – er war zuletzt mit Horns Ende in Leipzig zu sehen – gelang eine angemessene Umsetzung der sinistren Coming-of-Age-Erzählung, die bei aller künstlerischer Freiheit dem sprunghaften Charakter der Romanvorlage Rechnung trägt. Dabei beschränkte er sich auf eine Auswahl von Szenen, die er in Absprache mit Meyer vornahm. Diese werden auch in der Bühnenfassung asynchron aneinandergereiht und den roten Faden bildet die Narration der Hauptfigur Dani (Anja Schneider), dessen vorgetragene Erinnerungen als sich abwechselnde Tableaus zu sehen sind.

Besonders geglückt ist Petras Besetzungspolitik: Die männlichen Jugendlichen werden durchweg von jungen Frauen gegeben. Durch die weibliche Darstellung der maskulinen Hauptfiguren wird das vorgegebene Mackertum der Halbstarken unterstrichen und zugleich eine Brechung des oftmals harten Textes und der brutalen Szenen erzeugt. So üben sich die Schauspielerinnen in machohaften Posen und schieben im präpotenten Gang mit ausladenden Schritten das Gemächt vor sich her, sind aber auch in ihren Ängsten und Träumen überzeugend. Ein einziger männlicher Schauspieler (Bernd Stübner) erscheint in allen Erwachsenenrollen, tritt mal als polytechnische Oberschullehrerin, tätschelnde Oma oder gehörnte Mutter auf. Das bringt eine ironische Note in die Inszenierung und unterstützt das Abfedern der rüden Story. Einzig die Idee, Danis amour fou Estrellita mit einer blinden Schauspielerin (Maria Doubs) zu besetzen, bleibt nebulös. Dieser Schritt mutet überzogen an, so als ob man der Entfremdungslogik keinen Halt setzen wollte.

„Ein Stück Leipziger Stadtgeschichte“ – so kündigte das Schauspiel Leipzig an. Als Marketingstrategie zeigte sich dies als überaus erfolgreich: Die Premiere war bereits Monate vorher ausverkauft und die Pressevertreter mussten über mehrere Aufführungen verteilt werden. Zum Glück ist die Inszenierung aber keine historisierende Quartiersbeschreibung geworden. Das spiegelt sich klar in der Bühnengestaltung wieder, bei der auch zu starken Verfremdungen gegriffen wurde. Wird das Thema aus der Sicht eines Erinnernden heraus geschildert, so eignet sich das Querformat des Bühnenraums der Neuen Szene besonders. In einer Art Cinemaskop-Perspektive wird dieser zum Gedächtnisort, an dem sich in Danis Rückschau flüchtige Ereignisse als beispielhaft manifestieren. Daher verzichtet Petras zugunsten abstrakterer Räume auf die konkreten Schauplätze aus dem Roman, kopiert weder Hinterhof noch Brauerei, erschafft kein sperrhölzernes Zerrbild von Reudnitz oder Anger-Crottendorf. Auf der Bühne findet sich Als wir träumten als verallgemeinerte Adoleszenzgeschichte aufgeführt, die wenig vom Leipzig der 90er, dafür vielmehr von Erwachsenwerden am unteren Rand der Gesellschaft erzählt und leider noch immer aktuell ist.

(Tobias Prüwer)

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