Touristen wider Willen

Galgenhumor und behutsame Sentimentalität: „Brügge sehen… und Sterben?”

Manchmal schießt man übers Ziel hinaus. – Der frischgebackene Hitman Ray (Colin Farell) patzt gleich bei seinem ersten Auftrag in London und tötet einen Unschuldigen. Bis etwas Gras über die Sache wächst, setzt er sich mit seinem Kompagnon Ken (Brendan Gleeson) nach Brügge ab. Als Urlauber getarnt warten beide auf neue Order ihres Auftraggebers Harry (Ralph Fiennes). Während Ken das mittelalterliche Flair genießt, findet Ray nur widerwillig in die Rolle, zumal er im belgischen Flecken von vornherein nur ein Kaff sieht. In der Kleinkriminellen Chlöe (Clémence Poésy) trifft er schließlich seine Amour Fou, fällt in alte Handlungsmuster zurück und stolpert durch Prügeleien und Drogenorgien. Das auf ihm lastende schlechte Gewissen wird er damit nicht los, vergrößert im Gegenteil nur die Malaise. Als dann der Chef Harry persönlich eintrifft, um das Problem Ray zu lösen, entwickelt sich ein rasanter Showdown durch das „Venedig des Nordens“.

Allen Turbulenzen zum Trotz entwickelt Martin McDonagh (Six Shooter) seine Geschichte in britischer Gelassenheit. Er führt zwei allzumenschliche Auftragskiller vor Augen, denen man ihr tödliches Gewerbe gar nicht abnehmen kann. Der charismatisch-naive Ray sucht nur, sich ein Stückchen Hoffnung zu erfüllen, der väterliche Ken ist hin und her gerissen zwischen Loyalität und Freundschaft und beide wollen eigentlich gute Menschen sein. Zwischen den Konflikten tritt immer wieder die heimliche Heldin des Films in all ihrer gotischen Pracht auf: Brügge. Beim Sightseeing mit den zwei unfreiwilligen Touristen erkundet der Zuschauer auf Kanälen die pittoreske Altstadtkulisse, genießt vom Belfried eine einmalige Aussicht und erschaudert in der Heilig-Blutbasilika vor einer Reliquie Jesu. In seiner verrätselten Symbolik wird Ray und Ken schließlich Hieronymus Boschs Das Jüngste Gericht zum Reflexionsmedium über Schuld und Sühne. Mit dem Eintauchen alptraumhafter Wesen des Gemäldes ins wirkliche Geschehen schleicht sich eine surrealistische Spur in die Narration. In solchen Momenten entfaltet der von einer wohl dosierten Mischung aus knack-trockenem Galgenhumor und behutsamer Sentimentalität getragene Film vollends seinen poetischen Zauber.

Brügge sehen… und Sterben? (In Bruges)

BE & GB 2008 – 105 min.
R: Martin McDonagh
Mit: Colin Farell, Brendan Gleeson, Clémence Poésy, Ralph Fiennes u.a.

Kinostart: 15. Mai 2008


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