A Cappella – weltweit

Das 9.Festival für Vokalmusik Leipzig geht von San Fransisco über Japan und Finnland nach Leipzig

Wie jedes Jahr müssen sich die fünf ehemaligen Thomaner des Leipziger Ensembles „amarcord“ – Veranstalter und Organisatoren des Vokalmusikfestivals a cappella – in Interviews die immergleiche Frage gefallen lassen: Weshalb veranstaltet ihr ein Festival für Vokalmusik und fördert damit die eigene Konkurrenz? In Zeiten vernetzter Strukturen eine wirklich überflüssige Frage, außerdem sollte man bei der neunten Auflage von a cappella und dem jährlich überwältigenden Erfolg langsam anerkennen, dass „amarcord“ eine etablierte internationale Plattform geschaffen hat, die sich solche Fragen eigentlich nicht mehr stellen lassen muss.

Das Eröffnungskonzert gehört traditionell den Veranstaltern. In der Thomaskirche gibt es ein Programm französischer Vokalmusik aus vier Jahrhunderten. Der erste Teil besteht aus geistlicher Musik. Kristallklar die Stimmen der fünf Sänger, bei den lupenreinen Tenören bekommt man mehr als eine Ahnung von der Zeit als Wolfram Lattke, Martin Lattke, Frank Ozimake, Daniel Knauft und Holger Krause auf der anderen Seite der Kirche, unter der Orgel als Thomaner gesungen haben. Sicher liegt hier auch zu einem ganzen Teil der Erfolg des Ensembles: Als Leipziger Exportschlager verkörpern sie neben dem Gewandhaus die lange und tiefe Musiktradition Leipzigs, die im 19. Jahrhundert eine weltweite Ausstrahlung und Wirkung hatte. Der zweite Teil ist intensiver, gegenüber den teilweise etwas körperlosen geistlichen Stücken. Camille Saint-Saëns´ Salterelle op. 74 zum Schluss gerät dann virtuos und witzig, dramaturgisch gekonnt hat das Programm die Zuhörer am Ende auf dem Punkt, die Leipziger bejubeln ihre „amarcords“.
Der Montag Abend in der Moritzbastei gehört dem Leipziger Ensemble „Klangbezirk“ [Foto 1], als Preisträger des letztjährigen Wettbewerbes sind sie in diesem Jahr fester Programmteil des Festivals. Das junge Ensemble scheint schon ein Stammpublikum zu haben, die Veranstaltungstonne ist übervoll, viele können das Konzert nur vom Eingang aus verfolgen. Klangbezirk überzeugt mit einer bestechenden Musikalität. Mit viel Sinn für Humor führen Tanja Pannier, Barbara Bürkle, Juan Garcia und Matthias Knoche abwechselnd durch die Arrangements aus Jazzstandarts und gecoverter Popularmusik wie Grönemeyer und Michael Jackson. Das fünfte Ensemblemitglied: eine Loop-Station erzeugt den Background für den virtuosen Gesang. Die groovigen komplexen Arrangements erzeugen durch die Vervielfachung der Stimmen eine dichte Atmosphäre hinter der man eine Vielzahl von Sängern vermuten kann. Der virtuose Umgang mit ihren Stimmen hinterlässt begeisterte Gesichter im Publikum, Matthias Knoche treibt das in einem Solo auf die Spitze: Hände und Füße in kommentierenden Bewegung erklimmt er gesangliche Gipfel. „Klangbezirk“ überzeugt aber auch unbedingt durch die Ensemblewirkung, die vier Musiker, in ihren äußeren Erscheinungen schon sehr verschieden, sind jeweils für sich speziell und besonders, jeder geeignet für eine unterhaltsame Moderation. Man spürt die Lust und die Freude daran, zusammen zu musizieren und sich verbal die Bälle hin und her zu werfen. In den zwei Zugaben improvisieren die Vier vom Publikum zugerufene Titel ad hoc mit viel Spaß über die eigenen Einfälle.

Ebenfalls Preisträger des letztjährigen Wettbewerbes ist das Ensemble „Sound Affaire“ [2]. Die sechs jungen Sängerinnen und Sänger im Alter von 19 bis 23 Jahren haben ihre Wurzeln im Wolfratshausener Kinderchor und im Tölzer Knabenchor. Mit dem eigenen Arrangement switch off your mobil phone beginnt das bunt durchmischte Programm. Die Ansagen sind von einer verblüffenden Ernsthaftigkeit geprägt: „Ich glaube, dass uns das Nachtlied von Max Reger viel sagen kann.“ Rührend ist das und in Verbindung mit den einfachen Volksliedern im ersten Teil auch sehr stimmig. Sehr genau setzen die Stimmen in den vielstimmigen Liedern aufeinander auf, schwingen zusammen oder klingen gefühlvoll aus. Vor allem im zweiten Teil dann viel Witz und schauspielerisches Temperament, ganz professionell auch jetzt in farbig-fröhlicher Garderobe. So vielseitig das Spektrum ist, so typisch ist es auch für solch junge Ensembles. Man ist (noch) offen, probiert sich aus und die Lust und Freude am Experimentieren überträgt sich auf das begeisterte Publikum. Natürlich darf auch bei diesem Konzert die Danksagung an „amarcord“ nicht fehlen, gerührt verfällt die junge Dame dabei in ihren bayerischen Dialekt. Applaus, zwei Zugaben!
Das traditionelle Abschlusskonzert im Gewandhaus ist wie immer ausverkauft, ein neuer Besucherrekord von 5700 Karten in zwölf Konzerten wird stolz gemeldet. Neben den „amarcords“ sind die japanische Formation „Planeta“ [3], der finnische „Club For Five“, das amerikanische Ensemble „m-pact“ und der Gewinner des A CAPPELLA Awards 2008, das schwedische Ensemble „Vocado“ zu hören. „Vocado“ besteht aus sechs jungen Sängerinnen und Sängern, mit ihrem romantisch skandinavischen Stil erreichen sie eine beeindruckende Bühnenpräsenz im großen Saal des Gewandhauses. Gewinner des heutigen Abends sind aber ohne Zweifel die vier Frauen von „Planeta“. Die bezaubernde Begegnung asiatischer Kulturtradition mit Klassik europäischer Prägung generiert eine wunderbar eigene Wirkung. Mit einem vibrato-freien Gesang erreichen die Sängerinnen einen klaren entrückten Klang, der als Ergebnis eines kontemplativen Prozesses aus den zierlichen Körpern der jungen Frauen herauszusprudeln scheint. „Planeta“ arbeitet am einzelnen Ton, in verblüffender Analogie zum italienischen Tonkünstler Giacinto Scelsi zerlegen sie die Kompositionen in die kleinste Einheit, modulieren und dehnen dann die Töne auf spannende Weise. Nach der Pause wird mit „m-pact“ und „Club For Five“ noch eine völlig andere Facette der Welt der Vokalmusik beleuchtet. Jazzig und laut, viel farbiges Licht und ausgeklügelte Choreografien. Das ist Entertainment auf höchstem Niveau, welches das Publikum begierig aufnimmt. Jetzt darf mitgeklatscht werden!

9. Festival für Vokalmusik Leipzig

16. – 25. Mai 2008
www.a-cappella-festival.de




Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.